HUNGER & LUST: Das erste Buch zur Kulinarischen Körperintelligenz (German Edition)
„raus“. Auch deshalb, weil im alltäglichen Normalfall die anderen Möglichkeiten meist ausscheiden: Die Bewegung im Alltag wird unwesentlich gesteigert, außer Herr Meier gehört zu den „Fidgern“ (dazu mehr im siebten Kapitel). Für die reine Wärmeproduktion, die überflüssige Energie in „heiße Luft“ verwandelt, fehlt den meisten Menschen braunes Fettgewebe (siehe Infokasten ab Seite 140). Herr Meier wird sich auch sicher nicht nackt zum Energie verbrauchenden Zittern in die Kälte stellen. Er mutiert auch ohne schwerwiegenden Grund nicht zum Jogger oder anabolen Kraftsportler, das heißt, er wird die Energie weder weglaufen noch daraus zusätzliche Muskelmasse aufbauen.
Also hieße dies gemäß „Rein-Raus-Prinzip“: Für die 350 nicht benötigten kcal, die „rein“-kamen, ist der Weg „raus“ die Umwandlung in Fettgewebe – und zwar in ungefähr 50 g. Würde Herr Meier jeden Tag diese Menge zu viel essen, müsste er pro Woche zur „Kalorienneutralisierung“ mindestens vier bis fünf Stunden Sport treiben. Aber stellen Sie sich bitte vor, unser Mustermann Franz bleibt seiner sportlosen Lebensführung treu und nimmt nur alle drei Tage ungefähr 350 überschüssige Kilokalorien auf – so bringt ihm das etwa 500 g Körperfett als neue Energiereserve pro Monat. Franz Meier nimmt also hochgerechnet pro Jahr sechs Kilos zu, in zwei Jahren ist sein Körper bei gleichbleibendem Lebensstil um zwölf Kilogramm Fett beschwert. Klingt viel? Ist es auch. Besonders wenn Sie sich vor Augen führen, dass beispielsweise ein 80 Kilogramm schwererMann etwa sechs Stunden Rennrad fahren oder 100 km joggen müsste, nur um ein Kilo Fett abzuschmelzen . Wenn Herr Meier also nach zwei Jahren beschließen würde, seine zwölf Kilos Fett abzutrainieren, stünden ihm 1200 km Laufstrecke bevor. Diese Distanz entspricht ungefähr dem Weg von Hamburg nach Mailand – das ist lange zu laufen, nicht nur für Franz M.
Zu viel Essen, zu viel Wissen
Die Wahrscheinlichkeit, dass in Deutschland Millionen Franz Meiers leben, scheint aufgrund der dokumentiert zunehmenden Fettleibigkeit hierzulande annehmbar. Auch und insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass kein Mensch täglich genau die Kalorienmenge zu sich nimmt, die er benötigt . Woher sollen wir auch wissen, wie viel Energie wir täglich brauchen? Und wie viel von welchen Kalorienlieferanten, wie es die Wissenschaft vorschreibt? „Bitte decken Sie Ihren täglichen Energiebedarf mit 55 Prozent Kohlenhydraten, 15 Prozent Eiweiß und 30 Prozent Fett“, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Noch aktueller sind die Empfehlungen einzelner Ernährungsexperten, die zu wissen glauben, dass die Formel zum gesunden Glück in etwa 40/20/40 (Kohlenhydrate, Eiweiß, Fett) lautet. An dieser Stelle sei die Frage erlaubt: Welche alltägliche Relevanz haben solche gut gemeinten Ratschläge? Die Antwort lautet: Keine! Wer kann und will tagtäglich seinen Kalorien- und prozentualen Nährstoffbedarf zusammenrechnen und glaubt dann noch, das Ergebnis sei richtig?
Die „Nationale Verzehrsstudie 2007“ hat diesbezüglich festgestellt, dass ohnehin nur maximal zehn Prozent der Bundesbürger ihren Kalorienbedarf richtig einschätzen können. Eine andere Untersuchung des Verbraucherministeriums hat jedoch die zweifelhaften Ergebnisse geliefert, dass etwa die Hälfte derMänner und knapp drei Viertel der Frauen beim Einkauf auf den Zucker- und Kaloriengehalt achten – eine bedenklich hohe Zahl, die den Trend Richtung verstandesgesteuertes Essen verstärkt. In diese Kerbe schlägt auch ein weiterer, inzwischen kontrovers diskutierter Plan, die Lebensmittel mit drei Farbpunkten zu kennzeichnen: Rot (ungesund, nur in kleinen Mengen verzehren), Gelb (neutral, kann häufiger gegessen werden) und Grün (eine gesunde Wahl, bedenkenlos zugreifen) sollen den „vernünftigen Weg“ bei der Auswahl der Lebensmittel weisen. Eines ist sicher: Durch farbige Pünktchen schmecken Nahrungsmittel weder besser noch schlechter – Ihrer Kulinarischen Körperintelligenz ist die Punktierung völlig egal, denn am ernährungsphysiologischen Wert des Essens ändert sich für Ihren Körper nichts.
Pünktchen und Ampel
Den fehlenden erzieherischen Einfluss der drei Punkte offenbarte im Sommer 2008 auch eine Untersuchung der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Hamburg: Die Kennzeichnung spiegelte sich unterm Strich nicht im Verhalten der Studienteilnehmer wider. Vor Einführung solle
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