HUNGER & LUST: Das erste Buch zur Kulinarischen Körperintelligenz (German Edition)
Bier nicht mit Energiegehalten gebrandmarkt sind? Die Lobbyisten waren zu mächtig. Sie erinnern sich: Eine Flasche schwerer Rotwein hat in etwa so viele Kalorien wie 100 g Butter. Diese 700 kcal, die kennt der EU-Verbraucher besser nicht, wenn er abends alles zusammenrechnet. Es ist doch absurd: Die Menschen sollen alles wissen, um ihre Nahrung in Zahlen zu sezieren. Zahlreiche Angaben müssen auf die Packungen. Nur bei Kalorienbomben wie Wein und Bier wird „wegen erbitterten Widerstands der Branche“ eine Ausnahme gemacht. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Denken wir besser Gutes: Kalorienrechnen und Energiespalterei braucht kein gesunder Mensch . Denn die „Ernährungsmathematiker“ unter uns haben meist auch ihr Essverhalten rationalisiert: Verstandesgesteuerte Entscheidungen dominieren beim Essen, dafür schwindet ihr Vertrauen in den eigenen Körper. Das ist der beste Weg in Richtung zwanghaftes Essverhalten, denn wer Essen oder Nichtessen langfristig über den Verstand steuert, verliert langsam, aber sicher das natürliche Gespür für Hunger und Sattheit . Wird die Kulinarische Körperintelligenz dauerhaft unterdrückt und übergangen, dann verkümmert sie. Die Folgen sind fatal: Es entwickeln sich Essstörungen; aber das ist ein anderes Thema.
Wir essen zu viel!
Es ist ja auch mehr als genug für alle da
Bleiben wir beim „Rein-Raus-Prinzip“ und nehmen realistischerweise an, dass wir entweder zu viel oder zu wenig essen, aber nie genau so viel, wie unser Körper benötigt. Es ist de facto keine Punktlandung auf beispielsweise 2683 kcal möglich. Hierzulande tendieren wir eindeutig in Richtung „zu viel“, denn wir leben im Schlaraffenland mit garantiertem Überangebot insbesondere an hochkalorischen Lebensmitteln, die uns die Industrie auch allzu gerne als „leicht“ unterjubeln möchte. „Zuckerfrei“ und „ohne Fett“ bedeuten nicht zwangsläufig „weniger Kalorien“. Denn wo kein Fett drin ist, kann immer noch viel Zucker drin sein. Und „Diät“-Produkte enthalten wenig Zucker, dafür ordentlich viel Fett, sodass der Kaloriengehalt oftmals höher liegt als bei vergleichbar „normal“ deklarierten Produkten. Weil es an dieser Stelle so schön passt, sei nochmals an den kurzen Exkurs in Sachen „Light“ und Süßstoffe im dritten Kapitel erinnert. Hier ist nicht das Essen leicht, sondern uns werden leichte Storys als süße mediale Verführung gefühlvoll serviert, auf die wir allzu gerne reinfallen. Aber zurück zum Thema:
Meist essen wir also zu viel, weil wir wie die berühmte Made im Speck leben . Welchen Nahrungsmittelbereich Sie auch nehmen, unsere Lebensbedingungen sind geradezu traumhaft: Heutzutage Hunger auf etwas zu haben, das es nicht gibt, und diese Esslust nicht ad hoc auf vielfältige Art ausleben zu können – das gibt es fast nicht. Sicher spielt das Geld eine Rolle, wie groß die Vielfalt ist, die uns zur Verfügung steht. Aber dass kein Bundesbürger ernsthaft hungern muss, zeigen auch die Ergebnisse der Nationalen Verzehrsstudie 2007: Der Preis von Lebensmitteln rangiert bei den wichtigsten Kriterien zum Lebensmitteleinkauf auf Platz zwölf. Der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittelan den Lebenshaltungskosten ist hierzulande so gering wie in keinem anderen europäischen Land: Die Deutschen geben rund elf Prozent des verfügbaren Einkommens für Ernährung aus; bei den Österreichern sind es 12 Prozent (in Frankreich etwa 14 und in Tschechien 17 Prozent). „In keinem anderen Land der Welt können sich die Verbraucher so kostengünstig mit Nahrungsmitteln versorgen wie in Deutschland“ , weiß der deutsche Bauernpräsident Gerd Sonnleitner. Nach Angaben der „Zentralen Markt- und Preisberichtstelle“ war beispielsweise im Februar 2009 die Butter so günstig wie nach dem Krieg 1949. Dabei ist die Qualität der Lebensmittel von Billigdiscountern wie Aldi, Penny oder Lidl nicht schlechter als in Markensupermärkten, erklärten die Warenprüfer der Zeitschrift Öko-Test im Februar 2009. So verwundert auch die folgende Erkenntnis von Deutschlands größter Sonntagszeitung nicht, die im selben Monat in einer Titelstory erschien: Selbst wem nur 4,33 € pro Tag für Frühstück, Mittag- und Abendessen zur Verfügung stehen, kann sich hierzulande „gesund und lecker satt essen“. Zu diesem Ergebnis kamen Redakteure und Ernährungsexperten, nachdem Profiköche über 20 unterschiedliche Tagesgerichte aus frischen Zutaten zubereitet hatten. Die Mahlzeiten waren
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