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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Leutnant sein Büro nur verließ, um in der Offizierskantine zu
essen. Was er in seiner Freizeit trieb, wusste der Major auch nicht, bis er
einmal zufällig den dicken Leutnant in voller Anglermontur im britischen
Yachtklub an der Havel getroffen hatte. Angeln war McCullens Passion. Nachdem
der Major sich lobend über diese nervenschonende Freizeitbeschäftigung geäußert
hatte, die er im Grunde genommen stinklangweilig fand, war der Leutnant am
nächsten Tag vorsichtig mit einer Bitte an ihn herangetreten. Ob es dem Major
etwas ausmachen würde, das Angelzeug gelegentlich morgens mit dem Horch zum
Flughafen mitzunehmen. Er würde demnächst jeden Tag mit einem gleichgesinnten
Offizierskameraden, der einen Jeep zur Verfügung hatte, nach Dienstschluss in
der Abenddämmerung – wenn die Fische gut anbissen – zum Angeln an die großen
Seen im Osten Berlins fahren können. Miller hatte selbstverständlich keine
Einwände.
    »Well, John, no fishing at the Müggelsee
today?«, begrüßte Miller seinen Mitbewohner, als der ausnahmsweise am Morgen
eines wolkenlosen Hochsommertags ohne Angelzeug zu ihm in den Wagen stieg.
    McCullen schüttelte missmutig den Kopf.
»Nein, die Russen kurven da jetzt mit Patrouillenbooten rum, sowie wir
auftauchen. Wir suchen uns in Zukunft einen anderen Ort, obgleich es da von
Fischen nur so wimmelt.«
    »Russen oder Volkspolizei?«
    »Richtige russische Marinesoldaten«,
sagte McCullen und machte ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.
»Sie kamen in der letzten Woche andauernd dicht zu uns ran, winkten sogar noch,
aber danach hat natürlich kein Fisch mehr angebissen.«
    »Sonst irgendwelche Probleme mit unseren sowjetischen
Waffenbrüdern?«
    »Es heftet sich fast immer jemand an unsere Fersen,
wenn wir in den Osten fahren. Das ist schon gewöhnungsbedürftig, aber dass sie
uns systematisch auch das Angeln verleiden, finde ich unverschämt. Those damned
Iwans!«
    »Also demnächst doch wieder auf Fischzug
an der Havel!«
    Der Leutnant verneinte. Es seien überall
zu viele Badende und Sportboote. Miller stimmte ihm zu. Die Berliner ließen
sich ihr Badevergnügen selbst dann nicht nehmen, wenn sie ihre Decken zwischen
den vielen Kreuzen der an den Havelstränden beerdigten Soldaten ausbreiten
mussten.
    Der Major beschleunigte den Horch, aber
er zog nicht richtig. Das war in letzter Zeit öfter passiert.
     
     
    Miller stellte den Wagen bei der
Fahrbereitschaft ab. Ein Mechaniker versprach, sich um ihn zu kümmern. Auf dem
Rollfeld wurde die Frankfurt-Maschine betankt, die von dort nach New York
weiterfliegen würde. Der Major betrachtete sie einen Augenblick sehnsüchtig,
aber der nächste längere Urlaub stand erst im Winter an. Berlin. Über ein Jahr
Berlin mit lediglich kurzen dienstlichen Abstechern nach Frankfurt oder
Hamburg, wo die Stadtzentren ähnlich deprimierend waren, ließ manchmal in ihm
den Wunsch übermächtig werden, einmal wieder in Städten herumzuschlendern,
deren Bewohner nicht bleich und unterernährt ihr Leben inmitten von
Trümmerbergen fristeten.
    Kaum hatte der Major sein Büro betreten,
klingelte das Telefon.
    Bill Gleason war am Apparat. »Morgen,
Paul. Ich hatte schon bei dir in Dahlem angerufen, aber du warst leider bereits
weg.«
    »Was gibt’s?«
    »Ich würde mich gern möglichst bald mit
dir über ein paar Sachen unterhalten.«
    »Bei euch?«
    »Ja.«
    Miller schaute auf seinen Terminkalender. »Kein Problem. In
circa einer Stunde könnte ich bei euch sein.«
    Er erledigte schnell den bürokratischen
Kleinkram, der vom Vortag liegen geblieben war, und blätterte erneut in einem
Schreiben der britischen Militärverwaltung. Ein gewisser Colonel Teasdale von
der Reparationskommission würde am Nachmittag von Tempelhof nach Frankfurt
fliegen und Miller das gewünschte Interview über die britische Sicht der
wirtschaftlichen Lage Deutschlands geben. Miller rauchte noch in Ruhe eine
Zigarette, dann ließ er Burns bestellen, dass er zum Föhrenweg wollte.
    Der Sergeant kam mit einem offenen Jeep.
    »Guten Morgen, Sir. Ich dachte, bei
diesem Prachtwetter…«
    Der Major kletterte auf den
Beifahrersitz. »Ausgezeichnete Idee, Sergeant. – Wie geht’s denn so?«
    Der Fahrer zuckte mit den Achseln. »Mit Edith
und den Kindern läuft es gut, falls Sie das meinen. Nur…«
    »Ja?«
    »Naja, mit unseren russischen Kameraden
gibt es andauernd kleine Reibereien.«
    Miller nickte. »Das ist mir nicht
verborgen geblieben, Sergeant.«
    Burns überholte

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