Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
Vom Netzwerk:
nicht, das mit den
CARE-Paketen. Ich war neulich in Zivil in Potsdam auf einem der gewissen
Märkte. Nicht nur unsere Männer sind da rege zugange: Englische
Taschenlampenbatterien gab’s, russische Fleischkonserven, sogar französische
Unterwäsche wurde angeboten – alle Waren selbstverständlich aus den jeweiligen
Armeebeständen abgezweigt. Hier, lies mal! Ein paar Beispiele für aktuelle
Schwarzmarktpreise.« Er schob ihm eine Liste über den Schreibtisch: ein Paar
Damenschuhe zwischen vierhundert bis achthundert Mark, ein Pfund Zucker
hundertzwanzig Mark, Mehl ebenso, eine Tafel Schokolade hundert Mark…
    »Ich bin einigermaßen im Bilde, Paul.
Neulich habe ich zufällig ein paar deutsche Bauarbeiter auf dem Flugplatz zu
Beginn ihrer Mittagspause belauschen können. Einer hat ein Tischgebet
gesprochen: ›Lieber Jesus, sei unser Gast, aber nur, wenn du Marken hast. Wenn
du keine hast, bleib fern, denn wir essen selber gern!‹ – Eine Trümmerfrau
verdient übrigens um die sechzig Pfennig in der Stunde. Ohne den Schwarzmarkt
wäre die Ernährungslage in Deutschland wahrscheinlich noch viel düsterer, als
sie ohnehin schon ist.« Miller gab Gleason die Liste zurück.
    »Das sehe ich zum Teil auch so.« Der
OSS-Mann legte den Kugelschreiber aus der Hand und verschränkte die Arme vor
der Brust. »Deshalb habe ich aber eigentlich nicht mit dir sprechen wollen,
Paul.«
    »Sondern?«
    »Der finanzielle Verlust, den die
US-Militärverwaltung durch Schwarzmarktschiebereien hinnehmen muss, ist an sich
schon enorm, doch das, worauf meine Leute jetzt gestoßen sind, könnte sich für
uns schnell zu einer immensen Katastrophe auswachsen, wenn wir die Sache nicht
in den Griff bekommen. – Der offizielle Kurs, zu dem die Militärverwaltung
Reichsmark verrechnet, etwa bei Geschäften mit deutschen Behörden oder bei
anzukaufenden Industriewaren, beträgt im Augenblick eins zu zehn, dahingegen
tendiert der Schwarzmarktwert für einen Dollar gegen hundert Hitler-Mark. Das
zeigt immerhin klar und deutlich, dass das deutsche Geld beständig weiter an
Wert verliert und wir unsere stabile Währung für diese wertlosen Fetzen Papier
hinblättern. Die Geschichte ist indes noch nicht zu Ende, Paul.«
    Major Miller sah den OSS-Mann scharf an.
    Bill Gleason griff wieder nach dem
Kugelschreiber. »In den vergangenen Tagen sind in Berlin Unmengen von
professionell gefälschten Reichsmarkscheinen in Umlauf gebracht worden.«
    »KZ-Fälschungen?«, fragte Miller.
    Um den Dollar und das Pfund zu
destabilisieren, waren während des Krieges in einigen Konzentrationslagern
perfekt gefertigte Geldscheine hergestellt worden, die allenfalls ein Experte
von den amerikanischen und englischen Originalbanknoten zu unterscheiden in der
Lage gewesen war.
    »Nein, es sind druckfrische Noten. Und
deshalb wollte ich dich bitten…«
     
     
    Major Miller bekam am Nachmittag sein
Interview mit Colonel Teasdale und lernte, dass sich in der britischen
Besatzungszone die schwarzmarktbedingten Probleme kaum von denen in Berlin
unterschieden. Was Deutschland brauchte, so der Colonel, sei eine Währung, in
die die Bevölkerung Vertrauen hätte. Bei einem gemeinsamen Rundgang mit Miller
war der englische Offizier sichtlich vom Fortschritt der
Wiederinstandsetzungsarbeiten des Rollfelds und der vielen Hallen beeindruckt.
Ihm fiel auch sofort auf, dass über dem Portal der Eingangshalle ein großes
Flachrelief des amerikanischen Wappentiers, des Adlers, angebracht worden war.
»Als ich beim letzten Mal hier abflog, Major, hing dort noch der Nazivogel mit
dem Hakenkreuz.«
    »Es gab einige Probleme, das verdammte
Riesenteil da oben zu demontieren«, räumte Miller ein. Nachdem er den Colonel
bis zur Gangway der Frankfurt-Maschine begleitet hatte, kehrte er in sein Büro
zurück. Dort zog er die unterste Schreibtischschublade auf und entnahm ihr zwei
große Tafeln Schokolade.
    Sergeant Burns sorgte mit Sicherheit
dafür, dass es seiner Edith an nichts mangelte, aber den beiden Mädchen wollte
er dennoch ein Geschenk mitnehmen.
    Der Horch beschleunigte wieder gut. Der
Mechaniker hatte das Problem beheben können und irgendeine Einstellung am
Vergaser korrigiert.
    Major Miller fuhr nicht auf dem kürzesten
Weg zum Klausener Platz nach Charlottenburg, sondern beschloss, vor seinem
Besuch bei Edith Jeschke noch einen kurzen Abstecher zum Reichstag zu machen.
Der Schwarzmarkt dort war so bekannt, dass ihn selbst schon die Schaffner der
öffentlichen Busse

Weitere Kostenlose Bücher