Hungerkralle
hupend einen Pferdewagen.
Er war mit Astbruch hoch beladen. Jemand traf Vorsorge für den nächsten Winter.
Im vergangenen hatten bereits viele der innerstädtischen Bäume dran glauben
müssen, und in den Parkanlagen gab es kaum noch eine intakte Sitzbank.
Der Sergeant scherte vor dem Holzwagen
ein. Die zwei Zugpferde sahen so dürr aus wie die beiden Frauen auf dem
Kutschbock.
»Vorgestern hatte ich einen kleinen
Unfall in Karlshorst, als ich den ›Big Boss‹ dorthin fuhr.« Burns nannte den
Flughafenkommandanten von Tempelhof immer nur den »Großen Chef«. »Zum Glück nur
Blech. Aber ich könnte schwören, der Russenlaster hat uns absichtlich
gestreift.«
»Wie kommen Sie zu der Annahme?«
»Die Straße war breit genug, Sir. Der
Russe ist plötzlich vor mir Zickzack gefahren, als ich an ihm vorbei wollte.«
»Die sind teils mit abenteuerlichen
Vorkriegskisten unterwegs. – Vielleicht eine defekte Lenkung?«
»Nein, garantiert nicht. Nachdem sie mir
den hinteren Kotflügel angeschrammt hatten, hat der Laster tadellos die Spur
gehalten. Der Big Boss hat mir dann befohlen zu stoppen und den Fahrer zur Rede
gestellt.«
»Und?«
»Der Bursche war ein Generalleutnant der
Panzertruppen und sein Beifahrer ein Oberst. – Das ist doch oberfaul, Sir. Ein
russischer General, der einen Lkw selber steuert? – Der hat doch für
jeden seiner Stiefel einen Burschen, der ihn ihm putzt, und noch einen, der ihm
beim Hineinschlüpfen behilflich ist.«
Miller sagte nichts, erinnerte sich nur
an Leutnant McCullens Erlebnisse beim Angeln. ›There is
something in the air recently‹, dachte
er, ›and it does not feel good
at all.‹
Sergeant Burns schnippte einen
unsichtbaren Fussel von seiner makellosen Uniform. »Sir?«
»Was ist, Sergeant?«
»Bitte fassen Sie es nicht als Belästigung
auf, wenn ich direkt frage, aber haben Sie nach Dienstschluss schon etwas vor?«
»Bis jetzt noch nicht. Weshalb?«
Burns druckste eine Weile herum, dann
straffte er sich hinter dem Lenkrad, saß quasi stramm, und sagte: »Es ist so,
meine Edith hat Obstkuchen gebacken und möchte Sie zu sich nach Hause
einladen.«
Miller lachte. »Was denn für Kuchen? Apfel?«
» No, Sir. Something they call ›Rarebarber‹.«
»Rhabarber«, korrigierte der Major und
schmunzelte. »Einverstanden, Burns. Wenn der Horch heute rechtzeitig fertig
sein sollte, schaue ich gern vorbei. Wo wohnt denn Ihre Edith?«
Der Sergeant nannte eine Adresse nicht
weit vom Charlottenburger Schloss. Klausener Platz 5, erster Stock rechts,
Edith Jeschke.
»Das waren doch zwei Mädchen, oder?«
»Ja, Sir. Marianne und Rita, Marianne
wird übermorgen sechs, und Rita ist fünf.«
»Würde es gegen achtzehn Uhr passen,
falls mir nichts dazwischenkommt?«
Der Sergeant strahlte über das ganze
Gesicht. »That would be perfect, Sir.«
Während Burns im Föhrenweg unten bei der
Torwache blieb und von den Soldaten eine Zigarette angeboten bekam, geleitete
ein baumlanger Militärpolizist den Major, nachdem der sich ausgewiesen hatte,
zu Bill Gleasons Arbeitszimmer.
Auf Bill Gleasons Schreibtisch stand eine
bemalte GI-Figur aus Keramik.
»He, wo hast du die denn her?«
»Das ist ein Mitbringsel von einem meiner
Leute aus Bayern. Eine Werkstatt dort hat sich gleich nach unserer Besetzung
auf so etwas umgestellt.« Gleason verzog das Gesicht. »Vorher war der Betrieb
für seine Führerstatuetten bekannt. Kitschige Heiligenfiguren kaufen unsere Jungs
in dem Laden auch gern.« Dann kam der OSS-Officer zur Sache. »Zuerst das
Unwichtige, Paul. Am Reichstag und auf dem Potsdamer Platz werden CARE-Pakete
gleich im Dutzend verscherbelt. Du ahnst, was das bedeutet?«
Miller nickte. »Ja. Es muss eine undichte
Stelle geben. Wo vermutest du das Leck?«
Gleason begann mit seinem Kugelschreiber
zu spielen. »Ich denk bei euch.«
»Du meinst, in Tempelhof?«
»Wenn nicht dort direkt, dann bei der
Auslieferung der Pakete.«
»Hm, damit sind viele beschäftigt: unsere
Leute, das Rote Kreuz und meines Wissens auch einige deutsche Fuhrunternehmen.«
»Sonst noch wer?«
»Die Kirchengemeinden natürlich.«
Gleason kratzte sich mit dem
Kugelschreiber an der Schläfe. »Ich habe schon Leute losgeschickt, um Genaueres
herauszufinden.«
Major Miller, der wie stets vor dem
Schreibtisch des OSS-Officer in einem Sessel Platz genommen hatte, der
mindestens so abgewetzt war wie Gleasons geliebtes Cordjackett, schlug die
Beine übereinander. »Es wundert mich ehrlich gesagt
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