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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Schwalbenpärchen voneinander
unterscheiden konnte, entging selbstverständlich nicht, dass die drei Männer im
Blaumann, die nun mehrere dicke, brusthohe Dachpappenrollen ausluden, dieselben
waren, die – sonst immer makellos in Anzug und Krawatte gekleidet –, zusammen
mit dem Herrn mit der grauenhaft entstellten Gesichtshälfte in der Villa
nebenan wohnten. Fräulein Schwandts ausgezeichnetes Gehör stand im Übrigen
ihrem Sehvermögen in nichts nach. Das verhaltene, zischende, rhythmische
Geräusch, das sie manchmal vom Nachbargrundstück vernommen hatte, wenn dort das
kleine Kellerfenster offen stand, störte bereits seit Tagen ihre Morgenlektüre
nicht mehr.
     
     
    Horst »Hotte« Brennecke wischte sich den
Schweiß von der Stirn. »So, das hätten wir vorerst.«
    »Hat Wassilinski gesagt, ob er weiterhin
Papier beschaffen kann?« Der Mann im Ohrensessel des Salons massierte seine
rechte Wange.
    Brennecke lachte heiser. »Er meinte, das
könnte schwierig werden, faselte etwas von einem neuen Lagerverwalter in
Eberswalde, mit dem er sich erst einigen müsste.«
    »Ich hab immer gesagt, dass wir diesem
Russenschwein nicht trauen dürfen.« Adolf Wagener, seinen Specknacken mit einem
Taschentuch betupfend, betrat den Salon, dicht gefolgt von dem schnaufenden
Wolfgang Richter.
    »Natürlich hat er vor, den Preis nach
oben zu treiben, weiter nichts, falls du meine Meinung wissen willst«,
ereiferte sich Letzterer. »Er kam mit einer Indian angeknattert, hat das
Dollarbündel eingesteckt wie einen Stapel Klopapier und meinte zum Schluss nur,
dass wir beim nächsten Mal das Doppelte hinblättern müssten, weil es noch
andere Interessenten für das Papier gäbe.«
    Der Mann im Ohrensessel ballte die
Fäuste. »Scheiße! Gormullowski verlangt für die Druckerfarben von Mal zu Mal
mehr, und jetzt wird auch Wassilinski größenwahnsinnig. – Hotte!«
    Horst Brennecke war zu der geöffneten
Terrassentür gegangen und starrte gedankenversunken in den Nachbargarten. Die
alte Jungfer von nebenan trug ihren Klappstuhl in den Schatten eines
Apfelbaums.
    »Hotte!«
    Brennecke ging wieder zu den anderen.
»Ich denke, wir sollten uns langsam darauf einstellen, dass wir in Zukunft
geschäftlich umdisponieren müssen. Mit dem Papier von Wassilinski wird Wolfgang
noch eine Weile beschäftigt sein. Wenn die Umtauschrate so bleibt, entspräche
unser Gewinn immerhin noch annähernd fünfzigtausend Dollar.«
    »Falls Gormullowski heute Abend keine
Schwierigkeiten mit der Farbe macht«, warf der Stiernackige ein. »Hotte! – Wir
brauchen seine gesamten Vorräte, sonst sehe ich schwarz mit deiner Prognose.«
    »Das sehe ich auch so, und deshalb
statten wir ihm besser nachher einen Besuch zu dritt ab.«
    Der Mann im Ohrensessel nickte. »Gut,
erledigt das! – Während ihr das Papier geholt habt, war ich übrigens nicht
untätig. Hotte weiß, worum es geht. Wir haben uns gestern Nacht noch
ausführlich besprochen, als ihr die Blüten zu den Verteilern geschafft habt.«
    Wagener und Richter schauten sich
verblüfft an.
    »Könntest du uns vielleicht verraten, was
ihr da bekakelt habt?«, fragte Wagener.
    »Sicher. Wir brauchen in Zukunft ein paar
legale Standbeine. Das hätte sogar den Vorteil, dass wir unsere Scheinchen noch
besser an den Mann bringen könnten. Ich war heute bei diversen Gewerbeämtern.
Firmen zu gründen ist kein Aufwand, wenn man die Branchen gut wählt und, wie
wir, über genügend Kapital verfügt.«
    »Und woran dachtest du?«
    »Das liegt doch auf der Hand. Im
Baugewerbe kann man sich bei geschickter Vorgehensweise derzeit eine goldene
Nase verdienen, besonders falls man irgendwie mit den Westalliierten ins
Geschäft kommen kann. – Da, lest mal, letzte Seite!«
    Der Mann warf Richter und Wagener den Berliner
Telegraf zu.
    Es war eine Annonce der
Bezirksbauverwaltung Tempelhof. Für den Flugplatz wurden dringend erfahrene
Maurer, Dachdecker, Elektriker und Schweißer gesucht. Außerdem standen eine
Druckerei in Schöneberg und ein Weddinger Betrieb zum Verkauf, der auf die
Bergung von Eisen- und Stahlschrott spezialisiert war.
     
     
    Die drei Männer im Blaumann, die in der
Zossener Straße in der Fahrerkabine des Lastwagens auf Stanislaw Gormullowskis
Heimkehr vom Flughafen Tempelhof warteten, vertrieben sich die Zeit mit einer
Runde Skat. Plötzlich stieß Adolf Wagener Brennecke an. »Das ist er doch!«
    Der Pole schlug die Beifahrertür eines
holzgasgetriebenen Opels zu und verschwand in dem Haus, auf

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