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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Klaviersaite hatte
ausgereicht, um den Polen in einem günstigen Moment von hinten zu erdrosseln.
    Eine erfreulich lautlose Methode,
jemanden ins Jenseits zu befördern, fand Brennecke.
    Aus dem Radio auf dem Hinterhof erklang
die Ouvertüre aus der Hochzeit des Figaro.

 
    9. Kapitel
    Razzia
     
     
     
    Karl Meuniers Sonntagmorgen
begann bereits miserabel. Er schnitt sich beim Rasieren, stieß seine volle
Kaffeetasse um und trat auch noch Hasso auf die Pfote, als er ihm den Fressnapf
hinstellen wollte. Die flüchtige Zeitungslektüre war ebenfalls nicht geeignet,
ihn positiv auf den Tag einzustimmen. Der Personenverkehr in der sowjetischen
Zone war wegen des großen Bedarfs an Lokomotiven für den Gütertransport um
fünfundvierzig Zugpaare eingeschränkt worden. Die Russen schlossen sich dem
Abkommen der drei Westalliierten über den freien Austausch von Zeitungen und
Zeitschriften natürlich nicht an und meldeten auch, dass von den
Regierungschefs ihrer Zone die Herren Hübner, Steinhoff und Paul nicht zur
Bremer Interzonenkonferenz reisen würden. Immerhin wollte der Internationale
Militärgerichtshof in Nürnberg endlich am 30. September das Urteil über die
hauptangeklagten Nazikriegsverbrecher verkünden.
    Benno und Lilo hatten den Wagen genommen
und Karl einen Zettel auf dem Küchentisch hinterlassen. Er möge gegen Mittag
die letzte Micky-Maus-Uhr am Reichstag vorbeibringen. Nach Gormullowskis
Ermordung erledige dort Elektro-Klaus an den Wochenenden kleinere Geschäfte für
Benno. Es gebe einen russischen Interessenten für die Uhr. Weshalb der Pole
erdrosselt worden war, wusste niemand genau, aber Benno hatte die Vermutung
geäußert, dass er höchstwahrscheinlich in dubiose Geschäfte im Zusammenhang mit
gefälschten Lebensmittelkarten verstrickt gewesen sein musste. Das jedenfalls
sei die Meinung in einschlägigen Kreisen, deren Buschtrommeln im Allgemeinen
recht gut funktionierten. Benno hatte seine Finger am Puls des Geschehens,
überall, der Konkurrenzkampf tobte heftig. Er war einer der Glücklichen, der
dank seiner Menschenkenntnis auch kaum von den Verteilern betrogen wurde.
Schließlich musste Benno ihnen die Waren, überwiegend Lebensmittel oder
begehrte Gebrauchsgegenstände, meistens auf Kreditbasis überlassen. Nur mit der
Eröffnung des Oriental wollte es nicht so recht vorankommen, was aber weniger
an den Umbauarbeiten lag – die waren fast beendet – als an der behördlichen
Genehmigung. Auf dem zuständigen Amt saß ein Sturkopf, der sich partout nicht
schmieren ließ. Das war eine lästige Charaktereigenschaft, ärgerlich in Zeiten,
wo ein dezent überreichtes Präsent fast immer Wunder bewirkte. Andererseits
hatte der Mann die Gewährung der Konzession für Ende Oktober, Anfang November
in Aussicht gestellt. Es blieb zu hoffen, dass er Wort hielt. Im Ostsektor wäre
die Angelegenheit binnen Tagen erledigt gewesen, aber Benno wollte an den
Mythos des alten Oriental anknüpfen, und da kam eben nur eine Adresse in
Kurfürstendamm-Nähe infrage. Zumindest war der Übungskeller unter dem Lokal
schon für die Jiu-Jitsu-Gruppe benutzbar.
    Karl legte seine Armbanduhr ab und
ersetzte sie durch die Kinderuhr mit dem bunten Zifferblatt. Ein leichter
Nieselregen bewog ihn, doch den dünnen Übergangsmantel anzuziehen, den er am
Vortag auf dem Potsdamer Platz gegen eine Flasche Krimsekt aus Wassilinskis
Lieferung eingetauscht hatte. Nach der Ablieferung der Uhr beabsichtigte er dem
Buchladen hinter dem KaDeWe wieder einen Besuch abzustatten, um dort seine
Schulden zu bezahlen. Der Buchhändler hatte ihm vor einer Woche eine stattliche
Sammlung amerikanischer und englischer Literatur für den Spottpreis von
fünfhundert Mark verkauft.
    Als Karl am Reichstag eintraf, regnete es
heftiger, was indes keinen Einfluss auf das geschäftige Treiben dort hatte:
Menschen über Menschen, vom Sowjetischen Ehrenmal bis zu der DEM DEUTSCHEN
VOLKE gewidmeten Ruine. Er schaute sich nach Elektro-Klaus um. Dessen
bevorzugter Standort war neben der zerbombten Kroll-Oper. Einem Regenschirm
ausweichend, bemerkte er eine Frau mit hochgesteckten Haaren, die ein dickes
Reichsmarkbündel nachzählte, das ihr ein untersetzter, stiernackiger Mann in
die Hand gedrückt hatte, anscheinend alles Fünfzigmarkscheine.
    Plötzlich kam hektische Bewegung in die
Menschenmenge. Trillerpfeifen gellten, und jemand schrie: »Vorsicht, Polente!«
Eine Gruppe Frauen lief kreischend zur Kroll-Oper-Ruine und entledigte sich
dabei etlicher

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