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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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Speckseiten, einiger Päckchen englischer Armeenotrationen und
amerikanischer Taschenlampenbatterien.
    Die Polizei war auf einmal überall. Nicht
bloß deutsche Schupos, sondern auch amerikanische, britische und französische
Militärpolizisten rückten an. Karl versuchte sich mit anderen
Schwarzmarktbesuchern in Richtung Brandenburger Tor in den sowjetischen Sektor
davonzumachen, aber es war zu spät. Eigentlich ärgerte er sich, weggerannt zu
sein, denn er hatte im Grunde genommen nichts zu befürchten. Der Besitz einer
Micky-Maus-Uhr war schließlich kaum ein justiziables Verbrechen.
    Eine Polizeikette versperrte den Weg in
den Osten, eine weitere schwärmte aus und kesselte die Flüchtenden ein. Von der
Charlottenburger Chaussee preschte blau blinkend ein Konvoi grüner Minnas mit
jaulenden Sirenen heran. Ein mit einer Plane gedeckter amerikanischer Armee-Lkw
fuhr direkt bis zu der eingekreisten Gruppe.
    Ein amerikanischer Captain separierte
daraufhin auf Anweisung eines Zivilisten ein Dutzend Leute, darunter auch die
Frau mit dem Fünfzig-Mark-Bündel und der untersetzte Mann. Dann zeigte er auf
Karl. Der Zivilist zögerte und sagte: »I’m not quite sure, but…«
    »Let’s take him as well.« Der Captain bedeutete Karl mit einer
unmissverständlichen Geste, zu den anderen Ausgesonderten – acht Männer und
fünf Frauen – in den Armee-Lkw zu klettern, und zwei Militärpolizisten
verriegelten die Heckklappe. Auf der Ladefläche befahl ein Sergeant den
Arretierten in gebrochenem Deutsch, nicht miteinander zu reden, was angesichts
der entsicherten M Pis dreier weiterer Soldaten auch ohne weitere Widerrede
befolgt wurde.
    Karl musterte seine Schicksalsgefährten.
Obwohl es auf der Ladefläche spürbar kühl war, schwitzte der stiernackige Mann
unbändig und wischte sich permanent die Schweißperlen auf der Stirn mit einem
Taschentuch ab. Eine normale Razzia war das mit Sicherheit nicht, in die Karl
da zufällig geraten war. Gewissheit erhielt er vollends, als der Lkw nicht zu
einem der Polizeireviere fuhr, in denen man normalerweise Schwarzmarkthändler
verhörte, sondern zum Flughafen Tempelhof und dort durch ein Gittertor am
Columbiadamm zu einem Wellblech-Barackenkomplex am Ostflügel des
Flughallenbogens.
    Die Männer wurden von den Frauen getrennt
und in eine der Baracken in einen kahlen Warteraum gebracht. Miteinander zu
reden war weiterhin strikt verboten. Einer nach dem anderen wurden sie, während
ein Leutnant ihre Namen notierte, in einem weiteren schmucklosen Raum gefilzt,
Karl als Letzter der Gruppe. Seine Micky-Maus-Uhr fand keinerlei Beachtung,
aber man nahm ihm die Brieftasche ab. Dann musste er wieder in den Warteraum.
Von dort brachte der Leutnant, den jeweiligen Namen bellend, die Männer
anschließend separat zu einer Tür neben dem Durchsuchungszimmer. Nach und nach
leerte sich der Warteraum. Von denen, die durch die Tür gegangen waren, kehrte
niemand zurück. Der Stiernackige war als Erster von dem Leutnant
hinausbegleitet worden. Wieder war Karl der Letzte, der schließlich nach
annähernd anderthalb Stunden aufgerufen wurde.
    Er betrat ein schlauchähnliches, fensterloses Zimmer
mit gewölbter Decke und beschirmte seine Augen mit der Handfläche, denn die
Türöffnung und ein davor stehender Stuhl wurden von zwei starken Lichtquellen
auf einem Schreibtisch weiter hinten im Raum angestrahlt. Dort saß, soweit er
in dem gleißenden Licht erkennen konnte, ein Mann in Zivilkleidung.
    »Herr Karl Meunier?«, fragte
er auf Deutsch mit steinernem Gesicht und griff nach einem Gegenstand auf dem
Tisch.
    »Ja.«
    »In Ihrer Brieftasche befinden sich
achthundertvierzig Mark. Was für Geschäfte hatten Sie damit am Reichstag vor?«
Während der Mann in der Brieftasche wühlte, kam er mit dem Ellenbogen an den
Fuß einer Bürolampe. Der rechte Lichtkegel erfasste Karl nicht mehr.
    »Keine.« Er sah den Mann jetzt
deutlicher. Er trug ein abgewetztes braunes Cordjackett.
    »Sie haben eine große Geldsumme dabei.
Doch wohl nicht grundlos, oder?«
    »Unter einer großen Geldsumme verstehe ich heutzutage
etwas anderes. Die Fetzen sind doch kaum noch was wert.«
    »Um das eine oder andere
Schwarzmarktgeschäft zu tätigen, werden sie wohl noch ausreichen. Also, was
hatten Sie mit dem Geld beabsichtigt?«
    Karl lachte. »Meine Schulden bezahlen.
Ich hatte Bücher gekauft und wollte dem Buchhändler das Geld
vorbeibringen.«
    »Was für Bücher?«
    Karl sagte es ihm. Jemand räusperte sich
im hinteren Teil

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