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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
Vom Netzwerk:
geräucherten Stör aus fernen
Sowjetrepubliken.
    Major Miller war oft Gast im Oriental, und er war nicht blind.
    »Weshalb ich meine Bitte an Sie und Herrn
Hofmann richte, hat einen Grund. Ich kenne Sie beide noch aus Vorkriegszeiten –
Sie und Ihre politische Einstellung. Aus sicheren Quellen, die ich nicht
preisgeben kann, weiß ich, dass in Berlin in den letzten Wochen ein Netzwerk
von hohen Nazifunktionären und SS-Offizieren auffällig geworden ist.«
    »In den letzten Wochen erst? Gleich nach
Kriegsende sind einige der braunen Ratten schon wieder aufgetaucht. – Ein ›Persilschein‹
oder neue Identitätspapiere für ein Bündel Fünfzigmarkscheine, und die Sache
ist geritzt. Ich habe mir sagen lassen, dass es selbst für einst linientreue
NSDAP-Mitglieder nicht sonderlich schwer sein soll, irgendwo bei einer Behörde
unterzukommen, sogar bei der Polizei.«
    Major Miller schaute Karl scharf an. »Sie
erwähnten eben Fünfzigmarkscheine.«
    Karl musterte seinerseits den Major. »Ich
erinnere mich noch gut an den Anlass meiner Festnahme bei der
Reichstags-Razzia. – Geht es wieder um Falschgeld?«
    Miller lachte. »Volltreffer, Mister
Charles. Ja. Genauer gesagt geht es um Fünfzig-Mark-Blüten.«
    »Und der Herstellung verdächtigen Sie
eine Naziorganisation?«
    »Es gibt gewisse Anzeichen, die die
Vermutung nahe legen.« Miller reichte Karl ein Foto. »Kennen Sie diesen Mann?«
    Karl besah das Bild genauer. Ein
bartloser, wohlgenährter Mann Mitte vierzig. Ein Porträt bis zum Halsansatz.
»Die Augen erscheinen mir sehr merkwürdig, überhaupt ist der Gesichtsausdruck
seltsam. – Das ist doch eine Aufnahme von einem Toten, oder?«
    »Ja.«
    »Ich bin mir nicht völlig sicher, aber es
könnte durchaus einer der Herren sein, die man damals mit mir hier in Tempelhof
verhört hatte.«
    »So ist es, Mister Charles.«
    »Wer ist diese Person?«
    »Sein Personalausweis und die
Lebensmittelkarte waren auf den Namen Adolf Hübner ausgestellt. Als Wohnort
eine Adresse im Bezirk Mitte, aber die war auch falsch.«
    »Aber Sie haben seine wahre Identität in
Erfahrung bringen können?«
    »Durch Zufall. In der Presse wurde
darüber ausführlich berichtet, allerdings hatte man in einigen Zeitungen ein
altes Foto veröffentlicht, eines, das den SS-Sturmführer Adolf Wagener in
Uniform und mit Bart zeigt.«
    »Was, dieser Kerl ist der ›Bluthund von
Wilna‹?«
    »Genau der. Er ist zweifelsfrei
identifiziert worden.«
    Karl holte tief Luft. »Natürlich hatte
ich davon gelesen, Major. Ich meine aber, dass im Telegraf kein Foto von
ihm war.«
    »Gut möglich. Viele Zeitungen haben nur
eine reine Textmeldung gebracht.«
    Nachdem Miller von Wageners Fluchtversuch
in Frankfurt berichtet hatte, griff Karl erneut nach dem Foto. »Kennen Sie
seine richtige Adresse in Berlin?«
    »Nein. Die Geldverteiler trafen ihn immer
nur auf dem Reichstagsmarkt.«
    Karl tippte auf das Foto. »Ich brauche
noch ein paar davon.«
     
     
    Das Oriental war
voller als sonst, und daran mochte das Wetter schuld sein. Die
Schneematschreste waren zwar nicht völlig weggeschmolzen, aber es gab auch keinen
strengen Nachtfrost mehr.
    Benno machte seine übliche Runde bei den
Stammgästen und setzte sich gerade zu Oberstleutnant Wassilinski an den Tisch.
Dort saßen ferner Brandermann, der Bauunternehmer, der jetzt mit Birgit liiert
war, und andere bekannte Gesichter. Brandermann unterhielt sich angeregt mit
dem Russen, der sichtlich froh war, mit jemandem in seiner Muttersprache
plaudern zu können, denn diese schien der Bauunternehmer gut zu beherrschen.
Wiederholt war Karl Zeuge gewesen, wie Sowjetoffiziere in schallendes Gelächter
ausgebrochen waren, als Brandermann etwas zu ihnen gesagt hatte. Karl hatte nur
das Wort »Amerikanski« verstanden. Offenbar war ein derber Witz über die
Amerikaner gerissen worden. Karl traf Brandermann in der letzten Zeit häufig auf
dem Flughafen, wenn der nach seinen Bautrupps schaute, wechselte dann aber nur
selten mehr als ein paar beiläufige Worte mit ihm. Birgit selbst entdeckte Karl
nicht unter den Gästen. Von Benno hatte er gehört, dass sie nicht mehr in der
Franzosenkneipe in Reinickendorf arbeitete, sondern viel bei offiziellen Feiern
in der sowjetischen Zone auftrat. Brandermann und Wassilinski schienen sich angefreundet
zu haben. Gegen gewisse Gratifikationen hatte der Genosse Oberstleutnant
bestimmt seine Beziehungen spielen lassen.
    Karl machte Benno ein Zeichen, dass er
ihn im Lagerraum hinter dem

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