Hungerkralle
Tresen sprechen wollte.
»Na, Karlchen, welch seltener Besuch«,
wurde er von Lilo begrüßt, die dort leere Weinflaschen sortierte.
Schon erschien auch Benno in der Tür. »Wo
brennt’s denn, meen Bester?«
»Mach mal bitte erst hinter dir zu«,
sagte Karl und hockte sich auf eine Bierkiste. Dann gab er den beiden ein Foto
von Adolf Wagener. »Kennt ihr die Visage?«
Lilo schüttelte den Kopf, aber Benno
nickte.
»Mensch, det is doch der Hübner vom
Reichstag, oder ick brooch doch bald endlich ‘ne neue Brille!
– Wofür zeichste uns denn det Bild?«
Karl sagte es ihnen.
»Der hat immer viel mit Gormullowski
rumgehangen, is mir uffjefallen«, murmelte Benno. Seine Augen verengten sich zu
Strichen. »Det Schwein hat doch nich etwa den Pollacken uffem Jewissen?«
»Für Skrupel war der ›Bluthund von Wilna‹
ja nicht unbedingt bekannt. – Miller braucht jedenfalls unbedingt die Adresse,
wo Hübner alias Wagener in Berlin gewohnt hat, und er muss wissen, wer dessen
Kumpane sind.«
Benno steckte das Foto ein. »Sach dem
Major, ick bin mit vonner Partie. Ick hör mir morjen jleich mal um. – Oder wat
meenste, meen Schatz?«
Lilo konnte ihrem Dickerchen angesichts
des – überwiegend aus alliierten Armeebeständen – gut gefüllten Getränkelagers
nur von ganzem Herzen zu einer Kooperation mit Major Miller raten.
Karl ging in den Saal zurück, setzte sich
an den Tresen und bekam ein Bier. Neben ihm löste der Mann im grauen Anzug
Kreuzworträtsel. Hin und wieder fuhr er sich mit dem Bleistiftende durch sein
aschblondes Haar. Karl war, seit er und Birgit sich getrennt hatten, nur noch
selten ins Oriental gekommen. Nicht weil er ihr aus dem Weg gehen
wollte, sondern lediglich, weil wegen der Kälte die Jiu-Jitsu-Übungstreffen
ausgefallen waren, aber jedes Mal hatte dann dieser Mann über einem
Kreuzworträtsel gebrütet. Mit jemandem zu reden schien er nie. »Det is ‘n janz
ruhijer Zeitjenosse, Karlchen, ‘n Ami, arbeetet in Dahlem inner Buchhaltung, hatter
mir jesacht.«
Karl trank sein Bier aus. Bevor er sich
auf den Heimweg machte, erfuhr er noch, dass die Jiu-Jitsu-Truppe sich ab der
nächsten Woche wieder regelmäßig treffen wollte. »Sons rosten wa, meen Bester!
– Ick sach dir sofort Bescheid, wenn ich wat über Wageners Adresse rausjefunden
hab. Am besten is, du kommst morjen Mittach wieder her, denn weeß ick ja
vielleich schon wat. Oder arbeeteste ooch annem Samstach?«
»Manchmal schon, aber morgen nicht.«
Benno stellte vier Ginflaschen auf den Tresen.
»Gibt’s hier noch ‘ne Feier?«
»Teasdale will noch mit ‘n paar Kumpels
seene Versetzung nach Malta bejießen.«
Als Karl auf der Schlüterstraße stand,
hielt eine britische Militärlimousine, dessen Fahrer salutierte, als er für Colonel Teasdale
die Fondtür öffnete. Der Colonel erwiderte leicht schwankend den Gruß und verschwand im Oriental.
Karl hatte noch lange gelesen, deshalb
weckte ihn das heftige Klopfen an der Wohnungstür mitten aus dem Tiefschlaf.
Benommen stand er auf. Es war acht Uhr.
Das Klopfen wurde heftiger. »Moment!«,
rief er.
»Mensch, Karlchen, raus aussen Federn,
draußen is’n Prachtwetter, und du poofst bis inne Puppen!«
Karl sperrte die Tür auf, und Benno, mit
einem Sack in der Hand, kam herein.
»‘ne Morjenjabe, meen Juter. Beste Bruchbriketts.« Er stellte den Sack
neben den Kanonenofen.
»Sag mal, bist du aus dem Bett gefallen,
dass du schon um diese Zeit hier antanzt?«
»Ick bin ooch nich jrade überjlücklich,
ausjerechnet am Samstag so früh rauszukriechen, aber besondre Umstände bewogen
mir dazu, meen Bester. – Ick hab nämlich wahrscheinlich Wageners Adresse.«
Karl war augenblicklich hellwach. »Wie
denn das so schnell?«
»Kaum biste jestern wegjejangen, kam der
kleene Hansi. Ick gloobe, den kennste nich. Der besorcht mir immer Kleiderstoff
für Anzüje.«
Während Karl sich anzog, setzte Benno
Kaffeewasser auf und berichtete.
Der kleine Hansi hatte Wagener alias
Hübner auf dem Foto sofort erkannt. Er war ihm wiederholt auf den verschiedenen
Berliner Schwarzmärkten begegnet. Außerdem besaß Hansi einen Abnehmer für seine
Stoffe in Frohnau, im Kasinoweg. Im letzten Sommer hatte er dort Hübner im
Garten einer Villa gesehen. Die Nummer des Hauses wusste er natürlich nicht,
aber er hatte das Grundstück gut beschreiben können.
»Und da fahren wa jetz ma hin,
nachdem de ‘nen Happen jejessen hast«, sagte Benno und brühte den Kaffee auf.
Das mit
Weitere Kostenlose Bücher