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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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versprach dem Major, sich mit Alkohol zurückzuhalten, um ihn später mit dem
Horch nach Dahlem zu fahren. Miller war ziemlich betrunken und Karl reichlich
angeheitert. Einer seiner Jiu-Jitsu-Freunde feierte nämlich Geburtstag.
Folglich wurde es sehr spät. Benno hatte mehrfach die Runde durch den Saal
gemacht, als würde er jemanden suchen. Schließlich hockte er sich zu seinem
Freund an den Tresen und raunte ihm zu: »Versteh überhaupt nich, wo Wassilinski
bleibt, der wollte doch janz sicher heute noch mit ‘ner Kaste Wodka hier
ufftauchen.«
    »Na, vielleicht hat er es sich anders
überlegt und sich einen netten Abend mit dem Zeug gemacht.«
    »Det jefällt ma nich«, knurrte
Benno. »Ick hab ihn schließlich schon bezahlt, und morjen harn sich zwee
Russenjeneräle mit ihren Adjutanten anjesacht. Wenn die denn keenen Wodka
kriejen… Ick hab bloß noch eene leere Flasche hinten im Kabuff.«
    Um zweiundzwanzig Uhr setzte Burns Karl
in der Podbielskiallee ab.
    »Thanks for giving me a lift,
Major. – Thank you, Sergeant«, verabschiedete
sich Karl.
    »You really look… tired«, sagte Burns. »But I’m sure, you still can manage
the stairs.«
    »Don’t worry, Burns. Mister
Charles is far less drunk than me«, brummelte Miller.
    Der Sergeant gab Gas, Karl schwankte nach
oben ins Dachgeschoss. Er zündete eine Kerze an, zog sich aus, hängte sogar
noch den Anzug korrekt auf einen Kleiderbügel, stellte den Wecker, blies die
Kerze aus und fiel augenblicklich wie ein Stein ins Bett.
    Ein schwarzer Mercedes, der dem Horch vom Oriental in einigem Abstand gefolgt war, drehte auf der Podbielskiallee
und wartete noch ein paar Minuten auf der anderen Straßenseite mit laufendem
Motor gegenüber von Karls Haus. Als es dort im obersten Stockwerk dunkel blieb,
wendete der Mercedes erneut und preschte in Richtung Halensee davon.
     
     
    Nicht der Wecker, sondern Millers Klopfen
riss Karl am nächsten Morgen aus dem Schlaf. »Just a second, please!« Hastig
kleidete er sich an und öffnete die Tür.
    »Guten Morgen, Mister Charles,
entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich erkläre Ihnen alles gleich unten im
Wagen. – Nur eine Frage, vermissen Sie nicht zufällig Ihre Lebensmittelkarte?«
    Karl griff in die Innentasche seiner
Anzugjacke, fühlte auch in die seines Übergangsmantels – obwohl er die
Brieftasche dort niemals hineinsteckte – und stieß dann einen Fluch aus.
    Hinter Millers Horch parkte ein
Bolle-Lieferwagen, und auf der anderen Seite der Podbielskiallee hielt soeben
ein grauer Hanomag.
    Auf der Fahrt nach Tempelhof erfuhr Karl
den Grund von Major Millers Besuch: Oberstleutnant Wassilinski war um circa
zwei Uhr in der Früh das Opfer eines Verkehrsunfalls geworden. Eine
französische Militärstreife hatte die Leiche des Offiziers unter seiner Indian
in einer Wittenauer Nebenstraße entdeckt. Der Lkw, der den Russen mit seinem
Motorrad überrollt hatte, war vor einer Stunde in Tegel aufgefunden worden. Man
hatte ihn vom Fuhrpark der Stadtreinigung in Waidmannslust entwendet. Unter dem
Fahrersitz hatte die Militärpolizei Karls Lebensmittelkarte gefunden.
    »Und Sie sind sich sicher, dass die in
Ihrer Brieftasche war?«
    »Absolut, Major!«
    »Wie sah der Mann aus, mit dem Sie im Oriental zusammengestoßen sind?«
    »Das muss ein verdammt erfahrener Profi
gewesen sein, alles ging blitzschnell, und ich hatte ja bereits einige Biere
intus. Ich meine mich aber zu erinnern, das er ein recht schmächtiges Kerlchen
war, jedenfalls deutlich kleiner als ich.«
    Die bewaffneten Militärpolizeiposten am
Tor Columbiadamm winkten den Horch durch.
     
     
    In Millers Büro saß ein Mann in einem
abgewetzten Cordjackett auf dem Drehstuhl des Majors. Karl erkannte in ihm den
Zivilisten wieder, der ihn nach der Reichstags-Razzia in der Flughafenbaracke
verhört hatte. Er stellte sich nicht vor, gab Karl aber mit den Worten die
Hand: »Guten Morgen, Mister Charles. Ich kann Ihnen versichern, dass auch der
Major nicht überaus erfreut war, als ich ihn vorhin aus dem Bett klingelte. – Du
hast Mister Charles erzählt, worum es geht?«
    Der Mann hatte ihn freundlich begrüßt, dennoch
hatte Karl eine gewisse Spannung in seiner Stimme verspürt. Spannung oder
Misstrauen.
    Karl und Miller setzten sich auf das
Besuchersofa, das Sergeant Burns organisiert hatte.
    »Ja, Bill. Die Sache ist völlig
rätselhaft, denn falls jemand Herrn Meunier den Mord an Wassilinski anlasten will,
hat er nicht unbedingt ein gutes Timing an den Tag

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