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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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die
kapitalistischen Westmächte bindet‹«, zitierte Miller sinngemäß und schnaubte:
»Dabei weiß im Moment kein Mensch, wie eine solche neue Währung aussehen
könnte. Übrigens hat es deswegen nicht nur mit den Russen Krach gegeben. Bei
den Konferenzen waren anscheinend auch zwischen uns und den Engländern verdammt
harte Wortwechsel über eine eventuelle künftige ›Deutschmark‹ an der
Tagesordnung. Colonel Teasdale hat das mir gegenüber im Oriental angedeutet.
Ziemlich gesprächig der Bursche, wenn er einen in der Krone hat.«
    Karl zeigte auf einen Stapel Zeitungen,
der auf einem Hocker mit ostzonaler Presse neben Millers Schreibtisch lag. »Im
Augenblick schießen die Russen sich auch verstärkt wieder gegen die British
Armed Forces Service Vouchers ein. Sie behaupten, die BAFSVs würden bereits
einer zweiten Währung gleichkommen. Ihrer Meinung nach darf bis zur einer
endgültigen und allgemein verbindlichen Geldreform nur die alte Reichsmark
verwendet werden.«
    »Diese scheinheilige Bande!«, fauchte der Major. »Ich
war doch auf der Leipziger Messe. Da gab’s für Reichsmark nichts! Alles war in
US-Dollar, schwedischen Kronen, Schweizer Franken oder britischen Pfund
ausgepreist. – Ist doch auch glasklar, dass sie bis zu einer Einigung auf die
Reichsmark als alleiniges deutsches Zahlungsmittel pochen, wo sie noch immer so
munter in Leipzig illegal die Hitler-Mark nachdrucken.«
    Major Miller schob den Zeitungshaufen
resolut zur Seite und schaute auf die Wanduhr. »Schluss für heute, Mister
Charles! Mir ist nach einem Bier im Oriental. Ich war schon länger nicht
mehr da. – How about you?«
    Major Miller hatte seinen Jeep wieder
gegen den Horch eingetauscht. Zwanzig Minuten später erreichten sie die
Schlüterstraße. Bennos Etablissement öffnete täglich um achtzehn Uhr, aber bis
halb acht war dort wenig los, und die finanzkräftigen Stammgäste kamen, jetzt,
wo die Tage spürbar länger wurden, sowieso in der Regel erst nach zwanzig Uhr.
    Karls Augen schweiften über den Saal. Ein
paar GIs tranken Bier, ein Trupp russischer Leutnants spielte Karten. Zwei
sorgfältig geschminkte junge Frauen an einem kleinen Tisch der Tanzfläche
erweckten den Eindruck, als würden sie auf das große Glück in Gestalt eines
spendablen Bewunderers warten, der ihnen nach einem Besuch in dem
Etablissement, wo sie das Zimmer stundenweise bezahlten, mehr als zwei Päckchen
Camel-Zigaretten in die Hand drückte. Vielleicht träumten sie auch ehrlich von
jemandem, der sie endlich aus ihrer Misere riss, denn wie echte Professionelle
sahen sie eigentlich nicht aus, fand Karl. Nach dem Hungerwinter erfror
vermutlich niemand mehr, aber die ungeheure Lebensmittelknappheit war nicht aus
der Welt: ein Päckchen Camel für das Bordellzimmer, ein Päckchen, um nicht zu
verhungern.
    »Dass Edith Jeschke an eine ehrliche Haut
wie Sergeant Burns geraten ist, wird vermutlich die Ausnahme sein«, sinnierte
Major Miller, der die beiden jungen Frauen auch sogleich bemerkt hatte.
    Benno selbst war noch nicht eingetroffen,
dafür war Lilo schon da.
    »Willkommen, Major! Welch seltene Ehre! –
Hallo, Karlchen!«
    Miller schüttelte die ausgestreckte Hand und lachte.
»Die Arbeit, Frau Hofmann!«
    »Das sagt unser Karlchen auch immer, wenn
er sich sofort nach dem Jiu-Jitsu verdrückt und allerhöchstens noch ein kleines
Bier trinkt.« Karl bekam von Lilo einen Begrüßungskuss. »Was darf es denn für
die Herren sein?«
    »Ein Bier, bitte«, sagte der Major.
    »Für mich das Gleiche«, sagte Karl.
»Wollen wir hier am Tresen bleiben?«
    »Von mir aus.« Miller setzte sich auf den
Barhocker neben der Eingangstür.
    Es blieb nicht bei einem Bier, als Benno
sich nach einer halben Stunde zu ihnen gesellte. Zuvor hatte er seine Frau
gefragt, ob Wassilinski schon da gewesen sei, aber Lilo hatte nur den Kopf
geschüttelt.
    Langsam wurde das Oriental voll, gegen acht Uhr waren auch alle Tresenplätze besetzt. Der Major
hatte ein paar Pressekollegen aus der britischen Zone entdeckt und ging zu
ihnen an den Rand der Tanzfläche. Auch Karl sah einige Sportkameraden vom Jiu-Jitsu
in den Saal drängen. Auf dem Weg zu ihnen stieß er mit einem kleinen Mann
zusammen, der mehr getrunken hatte, als ihm gut tat. Um nicht zu fallen,
klammerte er sich an Karl fest. Immerhin war er noch in der Lage, eine
Entschuldigung zu lallen.
    Die Stammgäste trafen einer nach dem
anderen ein und wurden von Benno per Handschlag begrüßt. Sergeant Burns ebenfalls.
Er

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