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Hungerkralle

Hungerkralle

Titel: Hungerkralle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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nicht, ob sie lachen oder weinen sollten.
    Schließlich sagte Vera: »Nicht mehr ganz
so gut im Futter, wie du gefühlt haben wirst. – Doch, ich bin’s!«
    Birgit zog Vera ins Zelt. »Komm, erzähl!
– Mein Gott, ich habe mich überall nach dir erkundigt, niemand wusste etwas
über dich.«
    »Ich auch, Birgit. Ich auch.«
    »Wo hast du denn gesteckt? Hier in Berlin
jedenfalls nicht, das hätte Karl bestimmt erfahren.«
    Vera wurde kreidebleich. »Karl?«,
stotterte sie. »Der ist doch tot. Verbrannt im Adlon…«
    Birgit ergriff beide Schultern der
Freundin. »Nein, Vera, Karl lebt. Hier in Berlin. – Er und ich dachten, du
wärst tot.«
    Vera tastete nach einem Schemel. Als sie
saß, kehrte langsam wieder Farbe in ihr Gesicht zurück. Die Freundin strich ihr
zärtlich über das Haar. »Karl lebt und ist gesund.«
    Vera verkrallte sich in deren Arm.
»Birgit – weißt du, wo er ist?«
    Die Freundin befreite sich sanft von
Veras Griff. »Ja, ich weiß es.« Sie schaute Vera in die Augen. »Wir hatten kurz
was miteinander, Karl und ich. Es hat sich so ergeben.«
    Vera wich dem Blick nicht aus. »Weil ihr
dachtet, ich würde nicht mehr leben?«
    Birgit nickte. »Keines von den Lazarettflugzeugen aus
Berlin hat Ende April ‘45 jemals Schleswig erreicht. Karl hat Himmel und Hölle
in Bewegung gesetzt, um nach deinem Verbleib zu forschen. Alles, was er in
Erfahrung bringen konnte, war niederschmetternd. Karl ist überzeugt, du bist
tot.« Birgit schaute zu Boden. »Und ich war es bis gerade eben auch.« Sie
begann zu schluchzen.
    Vera schossen ebenfalls die Tränen in die
Augen. Sie zog Birgit zu sich auf den Schoß und schloss sie lange und fest in
die Arme. Schließlich küsste sie die Freundin und sagte halb lachend, halb
weinend: »Du lebst, Karlchen lebt und ich auch. Und was machen wir? Wir blöden
Heulsusen sitzen hier trübe rum und flennen! Eigentlich sollten wir feiern.«
     
     
    Viel hatten die beiden Frauen sich zu
erzählen.
    »… und dein Horst, was macht der so?«
    »Frag mich etwas Leichteres. Bei seinen
Geschäften blicke ich nicht richtig durch. Er besitzt mit zwei Kompagnons
mehrere Firmen, die anscheinend alle recht gut Geld abwerfen müssen. Du wirst
ihn bestimmt im Orientaltreffen. Er verkehrt häufig dort, genau wie
Karl.«
    »Und du?«
    »Nur wenn ich bei Benno auftrete. Das ist
jetzt im Sommer immer am Freitag.«
    »Wegen Karl?«
    »Ach, Vera. Glaub mir: Zwischen ihm und
mir ist wirklich alles aus und vorbei, aber ohne jeglichen Groll oder bitteren
Nachgeschmack beiderseits. – Nein, Hotte sieht es nicht besonders gern, wenn
ich mich da, außer zur Arbeit, blicken lasse.«
    »Wieso denn bloß?«
    »Er meint, es würde sich nicht gut
machen, mal als Gast und mal als Darstellerin aufzutauchen. – Aber das ist
vermutlich kaum der wahre Grund.« Birgit schmunzelte. »Ich glaube, er ist
ziemlich eifersüchtig, obwohl er das natürlich vehement abstreitet. – Wie dem
auch sei, viel Zeit, abends um die Häuser zu ziehen, habe ich sowieso nicht.
Ich trete ja fast jeden Tag irgendwo auf. – So, und jetzt komm, sonst rauscht
Heribert womöglich noch ohne uns ab.«
    Während Birgit und Vera sich unterhalten
hatten, war Birgits glatzköpfiger Agent kurz ins Zelt gekommen, um sie nach
Mitte zu fahren, wo sie mit Brandermann verabredet war. Heribert Lüdicke hatte
versprochen, zwanzig Minuten zu warten und Vera dann auch in der Podbielskiallee
abzusetzen.
    »Zwanzig Minuten und keine Sekunde
länger, die Damen! Ich habe noch einen wichtigen Termin, den ich nicht
vergeigen darf. – Ich stehe mit dem Opel vor dem Haupttor links in Reihe zwei.«
     
     
    Nur am U-Bahnhof Podbielskiallee brannte
eine einsame Gaslaterne. Birgit zeigte auf ein Haus mit einem erleuchteten
Dachfenster. »Er ist da!«
    »Was ist mit der Haustür?«
    »Die stand immer offen.«
    Vera stieg aus. Birgit warf ihr eine
Kusshand zu. Heribert Lüdicke winkte und fuhr los.
    Vera blickte nach oben und drückte auf
die Haustürklinke: Zu!
    Ohne zu zögern, bückte sie sich nach
einem Steinchen. Dreimal traf sie die Hausmauer, erst beim vierten Mal klirrte
das Fenster.
    Ein Schatten erschien hinter der Scheibe,
und das Fenster ging auf. Jemand lehnte sich hinaus und schaute nach unten.
    Es war Sommer, es war heiß. Vera trug zu
einem geblümten Baumwollkleid alte Akrobatik-Slipper mit Ledersohlen und verstärkten
Vorderkappen, die für die Bühne schon zu schäbig waren, für den Alltagsgebrauch
aber noch ihre guten Dienste taten.
    Sie

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