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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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er noch da?«
    Erika schaute angestrengt nach hinten. Die Straße lag leer und dunkel, keine Scheinwerfer weit und breit.
    »Nein, er ist weg.«
    »Bist du sicher?«
    »Wir warten oben auf der Höhe und schauen, ob er auftaucht oder nicht.«
    Erdogan hatte sich tief über das Steuer gebeugt. Er schien die Straße mit den Augen aufsaugen zu wollen. Oben ließ er den Wagen auslaufen. Sein Kopf sank vornüber, seine rechte Hand legte sich auf ihren Schenkel. »Und?«, flüsterte er.
    Sie drehte sich noch einmal um, obschon sie wusste, dass die Straße hinter ihnen leer war. Dann strich sie ihm übers Haar.
    »Nichts«, sagte sie, »er hat abgedreht, er hat Angst vor der Grenze.«
    Sein Rücken begann zu zittern, dann hörte sie ihn schluchzen. Er drehte sich zu ihr hin und legte den Kopf heftig an ihre Brust. Sie umarmte ihn, streichelte ihn.
    »Es wird alles gut«, murmelte sie, »es tut dir niemand etwas an.«
    Sie fuhren weiter über die Hochebene, wo schwerer, gepresster Schnee lag, dann durch den Wald. Die Buchenstämme glänzten im Lichte der Scheinwerfer, die Schatten tanzten. Am Grenzübergang stand niemand. Auf einer Tafel war zu lesen, dass die Passage nach 19 Uhr mit gültigen Ausweisen und ohne Waren gestattet sei.
    »Gut, dass er das nicht weiß«, presste Erdogan hervor. Die Angst war ihm noch immer anzumerken. Plötzlich trommelte er auf das Steuerrad, puffte sie in die Seite. Er lachte, er kicherte wie ein Verrückter, öffnete das Fenster, schrie in die Nacht hinaus: »Leck mich am Arsch, leck mich am Arsch!«
    Das Auto fuhr langsam und beruhigend sicher durch die dunkle Landschaft. Die Felder leuchteten weiß. Einzelne Bäume tauchten auf im Lichtkegel, verkrüppelte, alte Obstbäume, auf denen Misteln wuchsen.
    Sie erreichten das Dorf. Es lag still und verschlafen. Vor der Auberge standen ein paar Autos mit Basler Nummern. Der Bach davor war über die Ufer getreten. Kies lag da, kleines Astwerk, Schlamm. Erdogan bremste ab und ließ die Pneus langsam darüberrollen. Ein feines Sirren war zu hören, als würde Seide zerrissen. Er parkte unter den Bäumen.
    Sie betrachtete die beleuchtete Fassade, die hellen Verputzflächen zwischen den dunklen Eichenriegeln. Das war ein Haus wie aus einem Märchen, aufgetaucht aus Tausendundeiner Nacht.
    Es war ein Doppelzimmer frei, das auf den Bach hinausging. Verschalte Balken trugen die Decke. Die Dielen am Boden knarrten. Wie früher in Weggis, dachte Erika. Sie packte ihr Nachthemd aus, legte es auf die blaukarierte Decke. Sie stellte das Holzschaf auf den Nachttisch.
    Erdogan stand am Fenster, schaute nach vorn zur Straße. Das ruhige Rauschen des Baches füllte den Raum.
    »Hier sind wir sicher«, sagte er und wandte sich ins Zimmer zurück. »Ferien auf dem Lande, Ferien in Frankreich. Das machen wir jetzt oft, jedes Wochenende.«
    Sie stand vor ihm, schaute ihn erwartungsvoll an.
    »Ich meine, wenn ich wieder zurück bin aus der Türkei. Wenn ich die Diamanten verkauft habe.« Er sah das Schaf. »Das ist ein schönes Geschenk. Ein liebes Geschenk. Ich danke dir.«
    »Ich brauche eine Viertelstunde, bis ich fertig bin«, sagte sie, »dann essen wir unten. Ich lade dich ein.«
    Sie trat ins Badezimmer, um sich schönzumachen. Es war das erste Mal, dass sie auswärts, in einem Hotel übernachteten, und sie wurde nervös. Das war ein luxuriöses Zimmer, eine erstklassige Absteige für Geschäftsleute und ihre Sekretärinnen. Es stand sogar ein Bidet neben der Toilettenschüssel, ein Bidet für Damen, und sie war doch gar keine Dame. Oder doch?
    Sie schaute sich prüfend an im Spiegel, ihre dicken, festen Lippen, die kräftige Nase, die war etwas zu groß. Die hellen Augen, halb gelb, halb grün, die gefielen ihr am besten. Dann das lange, dunkelblonde Haar. Sie hätte es schon längst schneiden lassen sollen. Aber sie hatte keine Ahnung gehabt, dass sie an diesem Abend nach Frankreich verreisen würden, sonst hätte sie bestimmt die nötigen Vorkehrungen getroffen.
    Ich bin keine Dame, dachte sie, und ich will auch gar keine Dame sein. Ich bin eine Frau vom Lande, die an der Kasse arbeitet. Er muss mich so nehmen, wie ich bin, schließlich hat er mich hierher eingeladen. Basta.
    Trotzdem half sie nach, wo sie konnte. Sie tupfte sich sogar einige Tropfen des französischen Parfüms Fleur de Nuit, das sie von Nelly an Weihnachten erhalten hatte, unters Kinn, und sie gefiel sich nicht schlecht, als sie ins Zimmer zurückging.
    Erdogan lag auf dem Bett, das Gesicht

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