Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
Männern und Frauen. Und ich gebe diesen Reichtum nicht her. Ich fliehe mit ihm. Und du fliehst mit mir. Du hast gar keine andere Wahl, und ich auch nicht. Du wirst mir helfen. Abgemacht?«
Sie wiegte den Kopf hin und her, abwägend, als ob sie über das Ziel einer Reise nachdächte.
»Wir frühstücken erst einmal«, sagte sie, »ich bin ohnehin zu spät dran. Ich rufe an und sage, ich sei wieder krank geworden, ein Rückfall. Dann fahren wir meinetwegen ins Café und sehen weiter.«
»Gut. Und morgen um diese Zeit sitzen wir bereits im Zug nach Kloten.«
Sie griff sich ins Haar, bündelte es im Nacken und legte es über die linke Schulter. »Solange er die Diamanten nicht hat«, sagte sie, »bleibst du am Leben. Das heißt, er darf auf keinen Fall die Diamanten in die Hand bekommen.«
Als sie das Restaurant betraten, duftete es nach frischem Kaffee. Auf ihrem Tisch lag ein aufgeschnittenes Weißbrot, knusprig und luftig.
Die Wirtin erschien. Sie verwarf die Hände, lamentierte: »Haben Sie gesehen, was mit Ihrem Auto geschehen ist? Das sind Vandalen, richtig Rowdies, diese Fremdenhasser. Die wollen die Basler vertreiben, terrorisieren, dass sie nicht mehr ins Elsass fahren. Und die Basler sind doch unsere beste Kundschaft. Ich kann das Hotel zumachen ohne die Basler. Aber das begreifen die nicht, dass wir angewiesen sind aufeinander. Wir sind doch Nachbarn, und wir profitieren voneinander. Wir gehören zusammen, wir reden schließlich die gleiche Sprache. Aber gehen Sie hinaus, schauen Sie sich Ihr Auto an. Es ist entsetzlich.«
»Wir haben es schon gesehen«, sagte Erika, »es ist nicht so schlimm. Wenn Sie uns einen Schraubenzieher geben, schrauben wir die Nummern ab und fahren im Taxi zurück. Den Wagen lassen wir stehen, wenn es geht, bloß für einige Tage.«
»Aber sicher geht das. Sie können ihn auch abschleppen lassen. Da vorn beim Dorfeingang gibt es eine Démolition. Die kann das besorgen, wenn Sie es wünschen.«
»Wir geben Ihnen Bericht«, sagte Erika, und sie war jetzt tatsächlich eine Dame, »wir wollen vorher noch mit unserem Garagisten Rücksprache nehmen.«
»Bitte sehr, wie Sie wünschen. Und bitte keine Journalisten. Es wäre eine Katastrophe für mein Geschäft, wenn das in der Zeitung stehen würde.«
»Wo denken Sie hin, Madame«, sagte Erika und lächelte freundlich, »so etwas kann doch passieren. Es gibt diese Fremdenhasser überall.«
Das Auto war wirklich übel zugerichtet. Das Steuerrad war zerbrochen, die elektrischen Kabel waren herausgezerrt, die Ledersitze aufgeschlitzt. Ein Abbruchwagen war das, kein Luxusschlitten mehr.
Kurz nach elf stiegen sie ins Taxi, das die Wirtin bestellt hatte. Sie saßen beide hinten, dicht nebeneinander. Erdogan hielt Erika bei der Hand, als wolle er ihr helfen. Aber sie wusste, dass er es war, der beschützt werden musste.
Der Grenzübergang war unbesetzt, das Taxi rollte problemlos durch. Sie drehten mehrmals die Köpfe und schauten zurück. Niemand folgte ihnen.
Ein Mäusebussard saß auf einem Nussbaum, unglaublich nah, unglaublich mächtig. Der Schwarzwald jenseits der Ebene, in der Basel lag, glänzte dunkel im Sonnenlicht. Nur noch wenige weiße Flächen waren auf seinen Höhen zu sehen.
Sie durchfuhren die Stadt, wortlos. Erikas Hand lag auf Erdogans Schenkel, sein Gesicht war nass vom Schweiß.
»Du musst keine Angst haben«, sagte sie, »bei mir bist du sicher.«
Das Taxi stoppte vor dem Café Ankara. Erika bezahlte, sie stiegen aus. Einige Autos fuhren über die Kreuzung, eine Mutter schob ihren Kinderwagen über den Fußgängerstreifen, die Bremsen eines Lastwagens quietschten.
Der Handkarren einer Gemüseverkäuferin stand da, mit Kartoffeln, Kohl und Karotten beladen. Eine alte Frau in dickem Wollmantel war dabei, Zwiebeln abzuwiegen. Sie schaute auf, neugierig, freundlich. »Brauchen Sie etwas, Madame?«, fragte sie.
Erika schüttelte den Kopf. Sie nahm Erdogan bei der Hand und ging mit ihm die Stufen hinauf ins Café.
Nach einer Weile fuhr draußen ein roter Kleinwagen heran. Aus seiner linken Seite ragte eine Antenne. Er hielt direkt neben dem Gemüsekarren an. Der Mann am Steuer schaute zum Café hinüber. Er sah das ausgehängte Plakat, auf dem stand, dass am Samstag um 11 Uhr 30 ab Zürich Kloten ein Flug nach Izmir startete. Dann war der türkische Saisonnier Erdogan Civil zu sehen, der an der Theke stand und ein Flugticket in Empfang nahm.
Der Mann am Steuer legte den ersten Gang ein und fuhr weg. Ein Stück
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