Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
chemische Reinigung oder so. Hier in Basel oder in Selçuk. Ich werde dich besuchen. Ich will dich nicht verlieren. Du bist meine Freundin, und du sollst meine Freundin bleiben.«
Schöne Worte, dachte Erika. Gute Worte, wenn er sie ernst meint. Geld für eine chemische Reinigung, nicht schlecht. Selçuk im Februar, der Frühling ist nahe, die Blumen duften, die Luft wird mild. Sie überlegte, begann zu hoffen.
»Ich meine es ernst«, sagte er.
»In welchem Monat kommen die Störche zurück?«, fragte sie.
»Ende April, manchmal Anfang Mai. So lange musst du bleiben. Hier bist du in Gefahr, wenn ich weg bin. Sie werden sich an dich halten, sie werden dich plagen. Wenn du mit mir kommst, werde ich dich beschützen. In Selçuk bist du in Sicherheit.«
Sie musste sich setzen, sie zitterte am ganzen Körper.
»Ich bin ein Mann von Wort«, sagte er.
Da klingelte das Telefon, einmal, zweimal, dreimal. Beim vierten Mal erhob sie sich und ging hin.
»Nein«, sagte Erdogan, »hier ist niemand zu Hause. Nimm nicht ab. Auf keinen Fall.« Er blieb sitzen, traf keine Anstalten, sie zu hindern, saß starr vor Schreck.
Erika hob ab.
Es war die Stimme, die sie kannte. »Hör mal, ich brauche deinen türkischen Freund. Ich habe ihm eine wichtige Mitteilung zu machen.«
Erika winkte, aber Erdogan blieb sitzen. Sie löste ihr Kopftuch, wickelte es um die Sprechmuschel und ging zu ihm hin.
»Du musst mit ihm reden«, flüsterte sie, »unbedingt. Du musst verhandeln. Er lässt dich sonst nicht los.«
Sie zerrte ihn am Ärmel hoch, nahm das Kopftuch weg und drückte ihm den Hörer in die Hand.
»Ja«, sagte Erdogan, »bitte? Was wollen Sie von mir?«
»Das weißt du doch, mein Freund«, sagte die Stimme, und Erika verstand jedes Wort, »wir haben uns ja gestern Abend kennengelernt. Du saßest in einem schönen Cabriolet mit rotem Verdeck. Woher hast du das?«
»Das gehört meiner Freundin«, presste Erdogan hervor, der Schweiß stand ihm in großen Tropfen im Gesicht.
»Ach so«, sagte die Stimme, »du verschenkst bereits Autos. Ist das nicht ein bisschen zu früh? Du hast doch die Diamanten nicht etwa schon verkauft?«
»Ich weiß nichts von Diamanten. Gar nichts.«
»Hör jetzt gut zu, mein Freund. In genau einer Viertelstunde stehe ich vor deiner Wohnungstür. Und du wirst mir die Diamanten übergeben. Sonst geht’s dir schlecht. Und deiner Freundin auch. Begriffen?«
»Jawohl«, sagte Erdogan. Er hörte, wie aufgelegt wurde.
Erika holte den Zettel. »So«, sagte sie, »jetzt wird’s gefährlich, und das ist nicht mehr lustig. Du rufst die Polizei an, die ist in zehn Minuten hier.«
Erdogan zog den Mantel an, dann die Stiefel, ergriff den Koffer. »Los jetzt«, sagte er, »komm.«
»Du bist wahnsinnig«, schrie sie, »du machst alles kaputt. Du Aff.«
Aber er war schon weg, draußen im Treppenhaus. Sie hörte seine Stiefel auf die Stufen klopfen. Sie zögerte, aber nur kurz. Sie schaute die Nummern auf dem Zettel an, steckte ihn dann ein. Sie nahm ein Nachthemd aus der Kommode und etwas Wäsche, holte im Badezimmer die Toilettensachen, schob das Holzschaf in die Tasche. Sie überlegte, suchte den Pass hervor und etwas Geld, schloss die Wohnung ab und stieg die dunkle Treppe hinunter.
Erdogan stand im Ausgang zum Hinterhof, sie sah ihn kaum.
»Los«, zischte er, »beeil dich, sie warten vorn auf der Straße.«
»Du spinnst«, flüsterte sie, »du bist völlig übergeschnappt.«
»Wir gehen durch den Hinterhof und suchen drüben einen Durchgang. Dann gehen wir zum Auto an der Hammerstraße und hauen ab.«
»Du hast zu viele Kriminalfilme gesehen. Du bist blöd im Hirn.«
Sie stapften durch den Schneematsch an der Schreinerei vorbei. Es tropfte vom Dach und von den Bretterbeigen. Das nasse Holz roch gut, es war Tannenholz.
An der Mauer, welche die beiden Grundstücke trennte, hielten sie an. Sie war zwei Meter hoch.
»Da hinüber bringst du mich nie«, flüsterte Erika, »ich bin viel zu dick.«
»Moment«, sagte er und verschwand hinter dem Holz. Gleich darauf erschien er wieder mit einer Leiter. »Ich weiß, wo die hängt«, sagte er, »ich habe gut beobachtet.«
Er stellte die Leiter an, sie stieg hinauf und fuhr mit der Hand prüfend über die Kante. »Fingerdick Eis«, meldete sie, »aber keine Scherben.« Sie setzte sich rittlings auf die Mauer, schaute zu, wie er mit dem schweren Koffer hochkletterte, die Leiter auf die andere Seite kippte und hinunterstieg. Sie folgte ihm langsam, Sprosse für
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