Hunkelers erster Fall - Silberkiesel
wieder.
»Sie lagen in seinem Garderobenkasten«, sagte Erika, »bis gestern Abend. Dort hatten Sie schon gesucht. Das war schlau von ihm.«
»Der Plastiksack auf dem Gepäckträger des Mopeds«, sagte Hunkeler, »ich Arschloch.«
»Ich habe sie gestern Abend geholt und bei meiner Freundin ins Klo gespült.«
»Und warum?«, fragte Hunkeler.
»Weil ich nicht wollte, dass sie die Diamanten finden. Sie hätten ihn umgebracht, weil er ihre Gesichter gesehen hat.«
Hunkeler nickte und trank seine Tasse aus, mit großem Genuss, wie es schien.
»Kann sein, dass Sie recht haben.« Er fuhr sich übers Kinn, es kratzte wie eine Reißbürste. »Und dann haben Sie angerufen.«
»Ja.«
»Gut. Sie werden das alles als Zeugin zu Protokoll geben und unterschreiben müssen. Wenn Sie eine falsche Aussage machen, wäre das strafbar.«
»Ich kann das beschwören, bei meiner Mutter«, sagte Erika ruhig.
»Lebt sie noch?«
»Ja, in Weggis. Wir besuchen sie an Ostern.«
Er erhob sich. »Also dann. Pflegen Sie Ihren Mann gut. Wir halten Sie auf dem Laufenden.« Er ging zur Tür. »Übrigens, noch eine Frage. Wie viele Diamanten haben Sie ins Klo gespült? Haben Sie sie gezählt?«
»Nein«, sagte sie, ohne zu zögern, »ich habe einfach den Plastiksack geleert.«
»Dann ist also auch dieses Problem gelöst. Auf Wiedersehen.«
Er ging hinaus.
Erika setzte sich neben Erdogan aufs Kanapee und nahm seine Hand.
»Ich bin ein kaputter Mann«, sagte er, »Zahn kaputt, Kopf kaputt, Auto kaputt, Geld kaputt.«
»Das wird wieder besser«, sagte sie, »wart nur. Ich bezahle das alles, ich habe gespart. Ich bezahle dir den Zahnarzt, wenn du willst.«
»Nein«, sagte er, »kein Zahnarzt, es tut so schon weh genug. Stark wie ein Pferd, so etwas Blödes. Schwach wie ein Hund, das ist die traurige Wahrheit.«
Sie erhob sich, ging zur Tür und horchte.
»Was tust du?«, fragte er. »Der ist schon längst weg. Der hat dir geglaubt, weil du die Wahrheit gesagt hast.«
Sie öffnete die Tür, schaute hinaus. Das Treppenhaus war leer. Sie kauerte sich nieder, hob den Bastteppich auf, nahm etwas, was darunter lag, in die Hand und kam wieder herein. Sie setzte sich ihm gegenüber in den Fauteuil und legte zwei blitzende, bläulich schimmernde Diamanten auf den Tisch.
Er glotzte blöd, schaute sie ungläubig an, versuchte zu grinsen. Es ging schon besser.
»Woher hast du die?«
»Das sind die beiden, die wir dem Juwelier verkaufen wollten«, sagte sie. »Sind sie nicht schön? Der ist für dich, und der ist für mich.«
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Foto: © Bastian Schweitzer/Diogenes Verlag
HANSJÖRG SCHNEIDER, geboren 1938 in Aarau, arbeitete nach dem Studium der Germanistik und einer Dissertation unter anderem als Lehrer, als Journalist und am Theater. Mit seinen Theaterstücken ist er einer der meistaufgeführten deutschsprachigen Dramatiker, seine Hunkeler-Krimis führen regelmäßig die Schweizer Bestsellerliste an und sind mit Mathias Gnädinger in der Hauptrolle verfilmt worden. 2005 wurde er mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Er lebt als freier Schriftsteller in Basel und im Schwarzwald.
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