Hunter 05 - Späte Vergeltung
passiert in ihrem Leben, hatte sie so viel gesehen und erlebt, dass es sie geprägt und verändert hatte.
Chloe schüttelte den Kopf und stand auf. Zach Murdock war im Moment unwichtig, jetzt ging es einzig darum, ihren Job zu machen, und zwar so gut, dass ihr niemand hinterher vorwerfen konnte, sie hätte sich nicht bemüht. Sie zog ihren Blazer über, stopfte die Unterlagen in die Tasche und verließ das Büro. Ihre hochhackigen Schuhe klapperten über den Fliesenboden, als sie rasch das Gebäude verließ.
Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, als sie sich daran erinnerte, dass Shane immer behauptete, sie würde keine langsame Gangart kennen. Damit konnte er durchaus recht haben. Wann hatte sie sich eigentlich das letzte Mal für irgendetwas Zeit genommen oder etwas nur aus Spaß gemacht? Es war schon Jahre her, zumindest fühlte es sich so an. Normalerweise störte sie das auch nicht, sie brauchte die Bewegung, das Gefühl, etwas zu tun. Aber in letzter Zeit merkte sie, was es sie kostete, immer unter Strom zu stehen.
Wenn dieser Fall erledigt war, würde sie ein paar Wochen Urlaub beantragen und versuchen, sich darüber klar zu werden, was sie genau wollte und wie sie den Job erledigen konnte, ohne sich dabei aufzureiben. Andere machten das schon viel länger als sie und wirkten wesentlich zufriedener mit ihrem Leben. Aber vielleicht war sie dafür einfach noch viel zu jung und hungrig nach Erfolg. Sie befand sich noch zu sehr auf der Suche nach ihrem Platz im Leben.
Chloe trat aus dem Gebäude und blinzelte gegen die Sonne, die gerade hinter den Gebäuden aufstieg. Noch war das Wetter angenehm warm, doch im Laufe des Tages würde es heißer und damit deutlich unangenehmer werden. Sommer in New York City war nicht unbedingt ihre liebste Jahreszeit, viel lieber wäre sie jetzt auf der Ranch in Montana, wo es wenigstens einen Hauch von Wind gab. Aber das würde in den nächsten Wochen oder sogar Monaten nicht möglich sein, je nachdem, wie lange das Verfahren gegen Jesse Curtis dauerte und wann es anfing.
Schnellen Schrittes ging Chloe zum Straßenrand und rief ein Taxi herbei. Während ihrer Zeit in New York hatte sie sich angewöhnt, die meisten Wege mit der U-Bahn oder dem Taxi zurückzulegen, alles andere dauerte bei der katastrophalen Verkehrs- und Parkplatzsituation einfach zu lange. Im Taxi holte sie ihren Block heraus und notierte sich noch einige Fragen, die sie ihrem Mandanten stellen wollte. Obwohl die Sache auf den ersten Blick eindeutig aussah, fielen ihr immer mehr Ungereimtheiten auf, je länger sie darüber nachdachte. Als sie vor dem Gefängnis ausstieg, summte ihr der Kopf vor Fragen und Möglichkeiten.
Chloe zeigte am Gefängniseingang ihren Ausweis und ihre Registrierung als Anwältin und ließ ungeduldig die Sicherheitsmaßnahmen über sich ergehen. Sie wurde durchleuchtet, ihre Tasche durchsucht und einbehalten. Schließlich durfte sie mit der Mappe, ihrem Block und einem Filzschreiber den Gang betreten, der sie zu dem Unterredungsraum führen würde. Dort konnten sich Anwälte mit ihren Mandanten unterhalten, ohne dass das Gespräch aufgezeichnet wurde oder ein Wärter im Raum anwesend war. Ein Wärter geleitete sie dorthin, schloss die Tür auf und entfernte sich dann, um den Untersuchungshäftling zu holen.
Zögernd schritt Chloe durch den karg ausgestatteten Raum und legte ihre Unterlagen auf den Tisch. Dieser schien ebenso wie die Stühle schon bessere Zeiten erlebt zu haben. War die Luft hier wirklich stickiger als anderswo oder kam ihr das nur so vor? Chloe setzte sich absichtlich noch nicht hin, denn sie hasste es, wenn die Leute über ihr aufragten. Was bei ihrer geringen Größe fast immer der Fall war, aber sie weigerte sich, einem mutmaßlichen Verbrecher so viel Macht über sich zu geben. Nervös ging sie im Raum auf und ab, bis der Wärter mit dem Gefangenen zurückkam.
Jesse Curtis trug die standardisierte Gefängniskleidung und Turnschuhe mit Klettverschlüssen an den Füßen. Durch seine ungewaschenen Haare und die fleckige Haut wirkte er ungepflegt, zudem schwankte er im Griff des Wärters und musste zum Tisch geführt werden. Nachdem er endlich auf dem Stuhl saß, stützte er seine Arme auf die Tischplatte und senkte den Kopf.
Chloe richtete sich gerader auf und wandte sich an den Wärter. »Was ist mit meinem Mandanten los? Hat er hier Zugriff auf Alkohol oder Drogen gehabt?«
Der Mann, Conner stand auf seinem Namensschild, wirkte genervt. »Nein, das sind immer
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