Hunter 05 - Späte Vergeltung
schieben und erst wieder darüber nachzudenken, wenn sie richtig wach war.
Candice unterdrückte ein Gähnen und begann, die verderblichen Lebensmittel im Kühlschrank zu verstauen. Nachdem sie die anderen Sachen in die Schränke geräumt und die Tüte ordentlich zusammengefaltet in die Schublade gelegt hatte, atmete sie tief durch. Eigentlich würde sie am liebsten nur eine Kleinigkeit essen und dann ins Bett fallen, aber sie wusste, dass Jesses Reaktion deutlich schlimmer ausfallen würde, als wenn sie ihn jetzt weckte und sich nach seinen Essenswünschen erkundigte. Aber dafür würde sie garantiert nicht ins Schlafzimmer gehen, denn das Letzte, wonach ihr jetzt der Sinn stand, war Sex. Allein der Gedanke an seinen Alkoholatem ließ sie würgen. Für einen Moment lehnte sie ihre Stirn an das kühle Holz des Oberschranks, dann straffte sie die Schultern.
»Jesse? Ich bin zu Hause, möchtest du etwas essen?« Angespannt wartete sie auf seine Reaktion, doch es kam nichts. Entweder war er noch nicht zu Hause oder er schlief einen so tiefen Alkoholrausch aus, dass er sie nicht gehört hatte. »Jesse, bist du da?«
Als wieder keine Antwort kam, entspannte sie sich langsam. Wenn sie Glück hatte, blieb er die ganze Nacht weg – oder vielleicht für immer. Die Wahrscheinlichkeit war zwar ziemlich gering, aber man konnte ja träumen. Mit einem etwas leichteren Gefühl machte sie sich daran, die Dosen wegzuwerfen und das Geschirr abzuwaschen. Unordnung konnte sie einfach nicht ertragen. Danach würde sie sich eine Kleinigkeit zu essen machen und sich noch eine Weile vor den Fernseher setzen, bevor sie ins Bett ging. Candice bemühte sich, ihre schmerzenden Füße zu ignorieren, während sie rasch den Abwasch erledigte. Jetzt brauchte sie zwar keine hochhackigen Schuhe mehr zu tragen, aber während ihrer Zeit als Stripperin hatte das zu ihrer Arbeitskleidung gehört, und dementsprechend kaputt waren ihre Füße jetzt.
Manchmal vermisste sie es tatsächlich. Nicht unbedingt die Situation, sich vor ekligen, lüsternen Männern auszuziehen, aber die Kameradschaft unter den Tänzerinnen und vor allem das Tanzen fehlten ihr. Aber selbst wenn sie jetzt zu ihrem alten Job zurückkehren wollte, konnte sie das nicht mehr. Sie war inzwischen zu alt und zu verbraucht, niemand würde sie mehr ansehen wollen. Ganz zu schweigen davon, dass es einen Grund gegeben hatte, dieses Leben hinter sich zu lassen. Mühsam unterdrückte sie ihre Erinnerungen daran.
Candice ließ die Hände sinken, als sie glaubte, trotz des Klapperns der Teller ein weiteres Geräusch gehört zu haben. Lauschend legte sie den Kopf zur Seite, doch da war nichts. Schulterzuckend machte sie sich wieder an die Arbeit. Wenn Jesse nach Hause gekommen oder aufgewacht wäre, hätte er sich auf jeden Fall bemerkbar gemacht. Trotzdem lief ein unbehagliches Prickeln über ihren Rücken, und sie horchte auf weitere Geräusche. Obwohl sie nichts mehr hörte, nahm ihre Unruhe zu. Das war auch einer der Gründe, warum sie Jesse noch duldete: Sie mochte nicht allein sein. Früher hatte sie damit kein Problem gehabt, aber in den letzten anderthalb Jahren hatte sich die Angst verschärft. Über den Grund dafür mochte sie allerdings nicht nachdenken, sonst würde sie wieder nicht einschlafen können.
Gerade hatte sie den letzten Teller in der Hand, als sich etwas um ihren Arm schloss und sie mit Wucht durch die Küche geschleudert wurde. Mit einem erschrockenen Aufschrei ließ sie den Teller fallen und versuchte, sich abzufangen, doch der Schwung war zu groß, und sie fiel über den Stuhl. Hart landete sie auf dem Boden, Schmerzen schossen durch ihren Körper. Sie wollte sich aufsetzen, fiel aber mit einem Wimmern wieder zurück, als ihr Handgelenk nachgab. Es hing in schiefem Winkel herunter und war höchstwahrscheinlich gebrochen. Der Gedanke schoss durch ihren Kopf, dass sie bei der Arbeit ausfallen und wahrscheinlich entlassen werden würde, doch das verlor seine Bedeutung, als sie die Gestalt erkannte, die sich jetzt über sie beugte.
Hastig versuchte Candice, nach hinten zu robben, auf die Tür zu, doch sie wusste schon jetzt, dass es nutzlos war. Ihr größter Alptraum wurde auf schreckliche Weise wahr. Seine Hand schloss sich um ihren Fußknöchel, nicht allzu fest, aber so, dass sie nicht entkommen konnte.
»Dachtest du, du könntest dich vor mir verstecken, kleine Candy?«
Candice begann zu zittern. »Nein, ich …«
Er griff nach ihrem verletzten Handgelenk und
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