Hurra, die Lage wird ernst
Kreuz, als wäre er ein
Gewichtheber. Mit spitzen Fingern nestelte er pedantisch an seiner Serviette
herum, während Jo, der ihm gegenübersaß, unverschämt grinste. In diesem
Augenblick kam die Hausdame und schob Anja vor sich her.
»Das ist Anja«, sagte sie, »unser
neues Dienstmädchen. Ich hoffe, ihr benehmt euch.« Und zu Anja gewandt: »So,
tragen Sie jetzt auf.«
Sie setzte sich neben den Jonny-Typ
und wartete schweigend auf das Essen. Sie saßen sich zu zwei und zwei
gegenüber. Auf der einen Seite des Tisches Frau Lucas neben Jonny, auf der
anderen Jo und die andere Figur.
»Krieje ich eijentlich kein Antwort
von euch? Wat los war, will ich wissen.« Jo war sichtlich neugierig, aber Frau
Lucas fuhr ihn zischend an:
»Hältst du wohl die Klappe, du bist
wohl verrückt, jetzt danach zu fragen. Du willst wohl mit aller Gewalt, daß das
Frauenzimmer Wind von der ganzen Sache kriegt?«
»Frauenzimmer!« Mir sträubten sich
die Haare. Aber wir würden ihr schon auf die Schliche kommen, das wußte ich
jetzt ganz genau.
Ganz abgesehen von dieser äußerst
dummen Bemerkung: Hatte sie sich durch ihre Worte nicht verraten? Was meinte
sie für eine Sache, von der Anja keinen Wind bekommen sollte? Unsere Sache?
Dann hatten sie also die Pläne womöglich noch im Hause und bemühten sich immer
noch darum, sie zu verscheuern. Vielleicht hatten die beiden am heutigen
Vormittag wieder einen Versuch in dieser Richtung unternommen?
Diese Überlegungen waren um so
aufregender, als es für mich so gut wie unmöglich war, sie Anja mitzuteilen.
Eine verflixte Situation, mit der ich mich nicht so recht abfinden konnte. Aber
war es nicht möglich, daß sie auf eine andere Weise zu denselben Informationen
kam? Ich konnte es nur hoffen. Sicherheitshalber zerbrach ich mir aber doch
meinen Kopf darüber, ob es für mich nicht doch irgendeinen Weg gäbe, sie an meinen
neuesten Nachrichten teilhaben zu lassen.
Keiner sprach mehr ein Wort, weil
Anja in der Tür erschien, die Suppenschüssel in beiden Händen.
Als es vom Teller her zu ihm
hochdampfte, verzog Jo angewidert sein Gesicht.
»Wer hat dat jekocht?« fragte er lauernd.
Frau Lucas sah ihn forschend an, wohl um die Absicht dieser Frage zu ergründen.
»Ich«, gab sie dann wohl oder übel
zu, nachdem ihr Bemühen offensichtlich erfolglos geblieben war.
»Dat riecht man«, bekam sie auch
sofort die Quittung von Jo. Er schien ebensowenig begeistert von den
Kochkünsten der Frau Lucas zu sein wie ich. Die anderen beiden Männer löffelten
ohne Murren, aber sehr, sehr langsam vor sich hin. Die Goldammer zog ein
beleidigtes Gesicht.
Zu gerne wäre ich, da sie nun alle
vollauf beschäftigt waren, schnell zu Anja in die Küche geflitzt, aus der ich
sie mit Töpfen und Tellern hantieren hörte. Nicht etwa, weil mich die
kulinarischen Genüsse unserer Superköchin anlockten, sondern allein, um Anja
wieder einmal nahe zu sein. Sie hatte sich einen ganzen Vormittag so redlich
abgemüht, und es leidet sich bekanntlich leichter, wenn man einen guten Freund
in seiner Nähe weiß, wenn’s auch nur ein kleiner vierbeiniger ist.
Leider mußte ich aber im Moment noch
darauf verzichten, diese gute Absicht in die Tat umzusetzen, ich mußte mich,
auch wenn es schwerfiel, noch zurückhalten, weil ich mir der Folgen nicht
sicher war, die ein Entdecktwerden mit sich bringen konnte. Die beiden
unbekannten Männer konnten eine für mich unangenehme Lage heraufbeschwören. Wie
würden sie reagieren, wenn sie mich sähen?
Das Verhältnis zwischen Jo und mir
war ja bereits geklärt. Jonny, so schätzte ich, würde mich garantiert ebenso
geflissentlich und mit derselben Arroganz übersehen, wie es der ansässige
Dummkopf von Hund auch neuerdings tat. Die große Unbekannte in der Berechnung
meiner Lage war der dritte Mann.
Nicht ein einziges Wort hatte er bis
jetzt gesprochen, und da die Art, wie ein Mensch zu reden pflegt, sehr
aufschlußreich für die Beurteilung seines Charakters ist, war es bedauerlich,
daß mir diese wichtige Informationsquelle bisher verschlossen geblieben war.
Die einzige Möglichkeit, ihn wenigstens provisorisch zu taxieren, bot sein
langes, niederträchtiges Pferdegesicht mit den langen Zähnen, die selbst die
dünne Suppe zu beißen schienen. So tief wie Narben zogen sich zwei
unübersehbare Falten von der Nasenwurzel bis zu den herabgezogenen Mundwinkeln.
Ein Unzufriedener also. Im Gegensatz zu Jonny hatte er es nicht nötig, seine
Figur durch Watte aufzumöbeln. Sein
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