Hurra, die Lage wird ernst
mächtiger Körperbau schien die Jacke fast
zu sprengen, wenn er einen Buckel machte, um nach einer Scheibe Brot auf dem
Tisch zu langen. Als ich seine Hände begutachtete, betete ich zu allen für
Hunde zuständigen Heiligen, sie möchten mir nie zu nahe kommen.
Ich wurde das unangenehme Gefühl
einfach nicht los, daß es zwischen uns beiden trotz der mir selbst auferlegten
Zurückhaltung zu Differenzen kommen würde. Den Beweis für die richtige
Einschätzung dieses Zeitgenossen erhielt ich wenige Minuten später.
Auch beim Hauptgang hatte Jo wieder
zu meckern angefangen, die anderen hatten ihn wieder ignoriert, aber als er
sich gar nicht beruhigen wollte, platzte der Athlet plötzlich heraus:
»Wenn du jetzt die Schnauze nicht
hältst, kennst du sie gleich nicht mehr wieder.«
Gewalttätig war er also auch noch.
Jo gab jedenfalls keinen Mucks mehr von sich, schob nur energisch den
halbvollen Teller beiseite und verdrückte sich.
»Laß ihn doch in Ruhe«, mahnte Frau
Lucas. »Du weißt genau, daß wir ihn noch nötig haben. Ich mache mir ja auch
nichts aus dem Gequatsche.«
Mich juckte es entsetzlich hinter
dem Ohr. Es hatte schon angefangen, als Anja das zweitemal hereingekommen war
und den Hauptgang aufgetragen hatte. Schlimmer wurde es, als Jo den Mund
aufmachte, um seine weitschweifige Kritik an die Frau zu bringen. Jetzt aber
war es unerträglich, und wen es jemals in seinem Leben gejuckt hat, in einem
Augenblick, in dem er sich das Kratzen besser verkneifen würde, kann bestimmt
begreifen, daß in mir der Drang, es trotzdem zu tun, unwiderstehlich wurde.
Zuerst fing ich wirklich ganz
vorsichtig an, aber je mehr ich den Genuß verspürte, wie das unangenehme Gefühl
nachließ, um so kräftiger langte meine kratzende Pfote zu, bis sie schließlich
in rhythmischen Schlägen auf den Boden klopfte, als sei ich ein
Schlagzeugspieler und das Parkett die kleine Trommel. Aber auch während dieser
intensiven Beschäftigung ließ ich den Gorilla keine Sekunde aus den Augen.
Zuerst reckte er lauschend seinen Kopf in meine Richtung, und dann hatte er
mich entdeckt.
»Wie kommt dieser Köter hierher?«
bellte er.
»Es ist Anjas Hund«, versuchte sein
weibliches Gegenüber ihn zu beruhigen — leider vergeblich. Mit einer Wucht, die
die Selterswasserflasche vom Tisch fegte, schleuderte er seinen wurstigen
Finger gegen mich, so wie Staatsanwälte es tun, die dabei schreien: Da sitzt
der Mörder, verehrte Geschworene.
»Mach sofort, daß das Vieh hier
verschwindet. Es ist mir egal, wem der Köter ist, ich will, daß er abhaut«,
schrie er.
»Daß du deine Angst vor Hunden nicht
unterdrücken kannst, selbst nicht bei einem so kleinen«, grinste Jonny und
bohrte ungerührt mit einem Zahnstocher weiter nach imaginären Speiseresten
zwischen seinen Zähnen.
Anja konnte mir nicht zu Hilfe
eilen. Sie war in der Küche und hörte wahrscheinlich nicht einmal, was sich
hier abspielte. Ich kam mir im ersten Schrecken vor, als hätte ich plötzlich
auf meinem doch so bescheidenen Standort Wurzeln geschlagen. Ich war einfach
nicht fähig, mich zu rühren. So harrte ich also bewegungsunfähig der Dinge, die
da kamen. Frau Lucas legte sorgfältig, als wollte sie damit andeuten, daß sie
nicht daran dächte, dem Wunsch des Riesenbabys nachzukommen, ihre Serviette
zusammen.
»Daß es immer die größten Kerle sind,
die die meiste Angst vor Hunden haben. An Blacky hast du dich ja auch gewöhnt,
und an diesen hier wirst du dich genauso gewöhnen müssen. Ich kann ihr ja nicht
befehlen, das Tier den ganzen Tag oben im Zimmer einzusperren. Du mußt ihm ja
nicht unbedingt so deutlich wie jetzt zeigen, daß du Angst vor ihm hast, dann
wird er dich schon in Ruhe lassen. Außerdem sind das Nebensächlichkeiten. Sorge
lieber dafür, daß du dein Werkzeug herbeischaffst, das ist viel wichtiger.
Vergiß nicht, daß du nur noch zwei Tage Zeit hast.«
»Man sollte manchmal meinen, du
dächtest dir solche Scherze mit Absicht aus«, sagte der Angesprochene, warf mir
noch einen wütenden Blick an den Kopf und war dann kusch.
Jetzt waren die Verhältnisse endlich
klar. Drei der Einwohner dieses Hauses hatten mich akzeptiert, der vierte wurde
dazu gezwungen.
Wenn ich auf der Hut bin, muß es
eigentlich gutgehen — dachte ich, weil ich nicht in die Zukunft sehen konnte.
Da ich nun doch entdeckt worden war, brauchte mich nichts mehr davon
abzuhalten, meiner Anja entgegenzueilen. Was hätte ich ihr alles erzählen
können, wäre ich dazu fähig
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