Hurra, die Lage wird ernst
mich oben und eilte hinunter, um unsere Sachen zu holen. Das bedeutete für
sie noch eine größere Plackerei als am Morgen, weil die vielen Kilo ja jetzt
die Treppe hinaufmußten. Obwohl sie tüchtig schwitzte, als sie endlich oben
ankam, begab sie sich sofort daran, den ersten Befehl der Gnädigen auszuführen.
Sie packte alles so schnell in die Schränke, wie sie es am Morgen in den Koffer
verstaut hatte.
Vergeblich wünschte ich mir, sie möge
etwas langsamer machen, denn schon wieder war ich in der unglücklichen Lage,
erraten zu müssen, was jetzt mit mir geschehen sollte. Durfte ich mit hinunter
ins Wohnzimmer, oder mußte ich hier oben bleiben? Das kam allein darauf an, wie
Anja die Gesamtlage und Frau Lucas einschätzte. Sie streifte schnell ein
dunkelblaues Kleidchen mit weitem Rock und engem Gürtel über, band ein weißes
Schürzchen davor und knüpfte auf dem Rücken eine riesengroße Schleife.
Und dann? Wir waren uns wieder
einmal völlig einig. Ich an Anjas Stelle hätte mich auch mit hinuntergenommen.
Viel konnte uns bei diesem Versuch auch nicht passieren. Im schlimmsten Falle
wurde ich wieder nach oben geschicki. Genausogut konnte es aber sein, daß mich
die sowieso schon trüben Augen der Frau Lucas ganz übersahen, wenn ich nicht
gerade Purzelbäume vor ihr schlug.
Ahnungslos näherten wir uns dem
Wohnzimmer, hatten es wohl auch beide noch so im Gedächtnis, wie es gestern
ausgesehen hatte. »Ein Haufen Arbeit«, was konnte das schon sein? Ein bißchen
Staubsaugen, Fensterputzen vielleicht oder bohnern? Auch ein Hund lernt nie
aus, denn die Arbeit, die uns in Wahrheit erwartete, hatte ein Format, das wir
uns auch in unseren schlechtesten Träumen nicht hätten vorstellen können.
Genau wie die Herrin, so hatte sich
auch ihr Wohnzimmer verändert.
Es stank wie in einer üblen Kneipe.
Kein einziges Fenster war geöffnet, obwohl kalter Zigarettenqualm mit diversen
Alkoholfahnen, die aus Dutzenden von Flaschenhälsen aufstiegen, um die
Vorherrschaft rangen. Unzählige Kippen zeugten von einer langen Nacht und
umgestoßene Gläser vom Promillegrad der nächtlichen Säufer.
Hier hatte also in der vergangenen
Nacht eine dieser Partys stattgefunden, die den Gärtner von nebenan und seine
liebe Frau um den wohlverdienten Schlaf brachten. Sicher können Sie sich nicht
wirklich vorstellen, welcher Anblick sich uns bot, selbst dann nicht, wenn es
mir gelingen sollte, ihn fast wirklichkeitsgetreu zu beschreiben. Nein, so was
haben Sie bestimmt noch nicht gesehen.
Zu meinem Erstaunen machte sich Anja
keineswegs daran, die verschütteten Wein- und Schnapslachen von Tisch und
Polstern zu wischen, die Aschenbecher zu leeren und ein bißchen Ordnung zu
schaffen. Das einzige, was sie tat, war, schleunigst die Fenster und dazu noch
die Balkontür aufzureißen.
So konnte man doch wenigstens wieder
atmen, ohne einen Brechreiz befürchten zu müssen. Sie ließ alles andere stehen
und liegen und betrachtete eingehend die stummen Zeugen dieser nächtlichen
Ausschweifung. Sie beugte sich über den Tisch, zählte mit wippendem Finger die
Gläser, die Flaschen. Sie sah in Sesselritzen und wühlte im Papierkorb, und das
alles mit einer Zielstrebigkeit, als suchte sie nach etwas Bestimmtem.
Ich blieb bei dieser Aktion weit vom
Schuß. Ich folgte nicht ihren Fersen, sondern streckte mich auf dem Fußabtreter
vor der Balkontür aus. Hier hatte ich alles, was im Augenblick für mich wichtig
war: gute Sicht und gute Luft.
Im Papierkorb schien Anja
tatsächlich eine Entdeckung gemacht zu haben. Mit angespanntem Gesicht versuchte
sie, etwas zu lesen, was auf einem winzigen Papierschnipsel stand. Ob ihre
Bemühungen erfolgreich waren, weiß ich nicht. Ich sah nur, wie sie
kurzentschlossen den ganzen Papierkorb schnappte und nach oben rannte. Als sie
wiederkam, war er leer. Dann erst ging sie daran, das zu tun, was man ihr
aufgetragen hatte. Zwar machte sie die Arbeit nicht so fröhlich, wie sie das
immer in unserer Stammbehausung tat, aber mit den gleichen geschickten
Handgriffen.
Eigentlich hätte sie ja die Zeit, in
der Frau Lucas noch nicht unten war, gut ausnutzen und einen heimlichen Blick
in die Zimmer tun können, die sie noch nicht kannte. Kann sein, daß sie auf
diese Idee nicht kam, vielleicht fürchtete sie aber auch, plötzlich im
Schlafzimmer eines der männlichen Zecher zu landen.
Wir waren gerade mitten in der
schönsten Arbeit, als sich an der Tür, durch die auch wir von der Halle aus
gekommen waren, ganz
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