Hurra, die Lage wird ernst
sagte niemals zu mir: »Komm her«, wie das fast alle anderen Menschen
täten, und wie es für einen normalen Hund auch am verständlichsten gewesen
wäre. Nein, Herr Jordan sagte in diesem Falle etwa:
»Ich stehe auf dem Standpunkt, daß
es längst an der Zeit ist, die dumme Spielerei zu beenden und dich einmal
hierher zu bemühen.« Wenn seine Frau ihn fragte: »Gehen wir heute ins Kino, Arthur?«
antwortete er nicht etwa mit »ja« oder »nein«, sondern sagte:
»Ich möchte meinen, daß das ein
Vorschlag ist, über den sich eventuell reden ließe.«
Stundenlang stand er manchmal vor
dem Spiegel und studierte Gesten ein, oder er probierte es, ein freundliches
Gesicht zu machen. Ja, er mußte das mühsam lernen, denn von Natur aus war er
ein schwieriger und brummeliger Mensch. Vor dem Wahlkampf war es ganz schlimm,
da ließ er seine Frau nicht einmal zum Haarekämmen vor die silbrige Scheibe und
schickte sie ins Badezimmer. Aber alles was recht war, Herr Jordan nahm seine
Aufgabe sehr ernst. Er arbeitete unermüdlich an sich, bis er den Grad von
Freundlichkeit erreicht hatte, den die Partei für den genau ausgewogenen hielt.
Als die Wahl vorbei war, hatte er
ebensoviel Arbeit, sich wieder zu normalisieren, was zur Folge hatte, daß er
stets um eine Nuance liebenswürdiger war, als er eigentlich wollte. Mary und
ich profitierten davon, ebenso das Dienstmädchen und der Gärtner, der aber
wenig dankbar dafür war, denn ich hörte einmal, daß er abfällig sagte: »In der
Politik ist es wie in der Mathematik. Auch Nullen sind wertvoll, wenn sie an
der richtigen Stelle stehen.«
Die arme Mary hatte nicht viel bei
Herrn Jordan zu genießen. Er war abgespannt und herrisch und auch viel zu oft
nicht da, wenigstens sagte das Mary. Darum stritten sie in der meisten Zeit,
und in der Zwischenzeit saß sie herum und weinte sich die Augen aus dem Kopf.
Nur einmal, sagte sie, hätte er versucht, sein übergroßes Unrecht wieder
gutzumachen, und das sei gewesen, als er mich ihr nach einem Streit schenkte.
Oh, wenn die arme Mary gewußt hätte! Das aber war der tiefere Grund, warum sie
mich so sehr liebte.
Jawohl, noch nie zuvor war mir so
klargeworden wie hier in meiner düsteren Klause, daß ich damals aus dem Regen
in eine zwar hochherrschaftliche, aber dennoch nicht weniger unerfreuliche
Traufe geraten war. Mary liebte mich über alle Maßen. All die Gefühle, die sie
bei ihrem angetrauten Ehemann nicht loswerden konnte, verschwendete sie an
mich, sie drückte mich an ihr wildschlagendes Herz, nahm mich mit in ihr Bett,
herzte und küßte mich, es war eine Tortur.
Fräulein Leitweins sanfte Liebeswut
war mir noch zu stark im Gedächtnis, selbst nach dem heiteren Zwischenspiel bei
Rosenstocks, als daß ich nicht die Gefahr gewittert hätte, die mir bei Frau
Mary Jordans besitzergreifendem Wesen drohte. Hier lernte ich zwar aus
allererster und denkbar bester Quelle, wie man wirkungsvoll und in geschraubter
Sprache eine Rede hielt, mich aber hielt es nicht mehr länger.
Ich entfernte mich eines Tages mit
derselben Zielstrebigkeit, mit der ich mich diesen Menschen aufgedrängt hatte.
Gewiß, es erging mir nicht schlecht bei ihnen, und es mochte für einen Hund
Schlimmeres geben, das erfuhr ich ja jetzt am eigenen Leibe, aber selbst wenn
ich Maries lästige Liebe nicht berücksichtigte, bei Menschen zu sein, die in
ständigem Unfrieden miteinander leben, das kann auch eine Hundeseele krank
machen, ganz abgesehen davon, daß ich unter der ständig wechselnden
Gemütstemperatur meiner Gastgeber litt. Einmal traf mich die Kälte ihres Zorns
und wenige Minuten später überfluteten mich die heißen Tränen der heulenden
Mary und ihre ebenso temperierten Zärtlichkeiten. Das hält der stärkste
Schäferhund nicht aus.
Eine wichtige Erkenntnis allerdings
hatte ich diesen beiden Menschen zu verdanken. Wenn zwei sich streiten — nein,
nicht freut sich der dritte, das behauptete Oma Rosenstock; ich dagegen sagte
mir: dann halt dich draus. Von keinem wurde es mir je gelohnt, daß ich den
einen oder anderen trösten wollte, wenn’s gar zu arg wurde. Auch ich wurde
angefahren und beschimpft, keiner erkannte mein mitfühlendes Herz, beide
verstießen es in ihrer Wut. Seitdem stopfte ich mir lieber Bohnen in die Ohren,
als daß ich mich in einen Streit einmischte, den Mann und Frau miteinander
führten.
Ob ich es wohl bei Anja ebenso
machen würde?
Ach, Anja! Wüßte ich doch nur, was
sie jetzt machte. Stunden mußten schon
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