Hurra, die Lage wird ernst
vergangen sein. Stunden, in denen sie
sich gewiß um mich sorgte. Nachdem eine weit entfernte Kirchturmuhr elf mal
geschlagen hatte, achtete ich nicht auf die Zeit. Ob ich tatsächlich verlassen
hier zugrunde gehen sollte? Aber was konnte ich tun? Bis der erste Lichtschein
zu mir hereindringen würde, wollte ich mich gedulden, wollte warten und hoffen.
War bis dahin nichts geschehen, würde ich versuchen, mein Schicksal in die
eigenen Pfoten zu nehmen. Was ich jetzt brauchte war Geduld, der nächste Morgen
kam bestimmt.
Ich war müde. Die Augen fielen mir
zu, aber ich bemühte mich, nicht einzuschlafen. Meine Sinne mußten wach
bleiben. Es konnte noch Schlimmeres geschehen, wenn ich nicht aufpaßte, Bully
konnte zurückkommen und was dann? Da wollte ich mich schon lieber weiter damit
beschäftigen, über Glück und Unglück früherer Zeiten nachzudenken.
Wo
war ich doch gleich in meinem Lebenslauf stehengeblieben — ach ja, bei meinem
Abschied von Jordans. Als mir wenig später ein Lämpchen aufging, wer sich als
nächster anschickte, in mein Leben zu treten, wollte ich es zuerst nicht
glauben. Es war schon wieder so ein sonderbares Wesen, das die Leute »Jungfer«
nannten, meist mit dem Zusatz: alte. Zum Glück war ich jetzt schon so gewitzt,
daß ich meine Lage sofort erkannte und mich gar nicht erst häuslich
einrichtete. Mein Gastspiel bei Adelheid/56 war kurz und dauerte nur so lange,
bis ich die Flucht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte.
Adelheid war fast so unruhig, wie
die ganze Familie Rosenstock zusammen. Sie sprühte von Unternehmungsgeist, und hätte
ich nicht befürchtet, von ihren temperamentvollen Armen erdrückt zu werden,
hätte ich es bestimmt noch ein Weilchen länger bei ihr ausgehalten.
Fräulein Adelheid war drall und
rund, hatte ständig kirschrote Apfelbäckchen und immer etwas zu erzählen, wenn
nicht ihrer Nachbarin oder einer ihrer Kundinnen, dann mir, wenn nicht dem
Milchmann, dann dem Vogel (Wellensittich). Bei ihr, nein, durch sie lernte ich
mehr kennen, als mir in meinem ganzen bisherigen Leben vor die Schnauze
gekommen war.
Fräulein Adelheid war
Platzanweiserin im Atrium-Kino, vorübergehend, als Vertretung einer Freundin.
Wenn Kunst wirklich bildet und wenn Film wirklich Kunst ist, dann wurde ich
während dieser Zeit zu einem der gebildetsten Hunde weit und breit. Bis es
allerdings soweit war, hatte ich ein paar aufreibende Kämpfe zu bestehen, die
meine Muskeln kräftigten und meinen Geist schärften.
Nachdem ich Jordans verlassen hatte,
war ich über Land gezogen, mit allem was ich besaß, nämlich nichts. Ich dachte
mir, in Wald und Wiese würde ich schon nicht verkommen, ein flüsterndes
Bächlein würde mir Trank und eine erfolgreiche Jagd die Speise bringen. Mein
Pech, daß es nicht so kam. Das Bächlein flüsterte zwar und labte mich auch, es
gab auch genug Kaninchen und sonstiges Getier zu fangen, jedoch es haftete mir
ein Makel an, den ich erst zu diesem Zeitpunkt erkannte. Zwar war ich von Natur
aus ein Jagdhund, und meine Mutter hätte sich sicher zu Tode gegrämt, wenn es
ihr jemals zu Ohren gekommen wäre, aber ich brachte es einfach nicht über mich,
die possierlichen Tierchen zu töten, die mir da auf weiter Flur begegneten, und
wenn mir der Magen auch noch so arg knurrte.
Meinen Hunger stillte ich dafür im
Dorf, beim Metzger vor der Tür, der zwar große Hände, aber auch ein solches
Herz hatte. Wäre sein Fleischerhund Jussuf nicht gewesen, ich hätte dieses
herrliche freie Leben bis in alle Ewigkeit fortgesetzt. Dieser Jussuf gönnte
mir die Bissen nicht, die sein Herr mir zuwarf. Er merkte sich genau die Zeit,
wann es mich unweigerlich vor den Laden trieb und raufte mit mir um jede
kleinste Fleischfaser. Ernsthaft böse hat er es sicher nicht gemeint, sonst
wäre ich längst als Hackfleisch in seinen geräumigen Magen eingegangen, aber
durch ihn wurden mir die gutgemeinten Mahlzeiten verleidet. Aber was tun, nach
einem anderen Wohltäter suchen?
Auf dem Lande hatten die Leute
anderes zu tun, als sich um einen kleinen Hundevagabunden zu kümmern. Da
rasselten Ketten und tuckerten Maschinen, da wurden Heugabeln geschwungen und
Traktoren durch enge Dorfgassen und schmale Feldwege bugsiert. Nein, hier gab
es für mich nicht viel zu holen, und daß ich als Hof- und Wachhund nicht zu
gebrauchen war, das sah ich selber ein.
Da kam es mir eigentlich ganz
gelegen, daß ich Fräulein Adelheid in die Arme lief. Ich begegnete ihr am
kleinen Wäldchen kurz
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