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Hurra, die Lage wird ernst

Hurra, die Lage wird ernst

Titel: Hurra, die Lage wird ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Bell
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von meiner Mutter weg und von
meinen Geschwistern, an die ich mich nur als an ein quirliges, sich dauernd in
Bewegung befindliches Knäuel erinnern kann. Mutter hatte traurige Augen und
köstliche Milch, mehr weiß ich auch von ihr nicht mehr. Meinen Vater habe ich
nie kennengelernt, eine Tatsache, die ich mit vielen Menschenkindern gemeinsam
hatte. Ich faßte gleich Vertrauen zu meinem allerersten Herrn, denn er hatte
kräftige und trotzdem liebevolle Hände. Als er mich in seine Wohnung brachte,
fand ich ein weiches Bettchen vor und viele andere Dinge, die ich erst im Laufe
der Zeit schätzen lernte.
    Er brachte mir bei, wie man die
Treppen hinuntersteigt, denn er wohnte auf der zweiten Etage. Voller Mitgefühl
für mich und meine kurzen Stummelbeinchen und mit einer wahren Lammgeduld gab
er sich dieser Aufgabe hin, nicht ohne mir reichlich Lob und Belohnung zu
spenden, wenn meine Bemühungen von Erfolg gekrönt waren und ich wieder drei
Stufen mehr geschafft hatte.
    Als die Treppenaktion zu unserer
beider Zufriedenheit abgeschlossen war, lehrte er mich, mein Bedürfnis nach
unkontrollierter Entleerung zu bezähmen, auf sofortige Erledigung zu verzichten
und so lange zu warten, bis sich mir Gelegenheit bot, auf Wiesen und Wegen
alles nach Herzens Lust nachzuholen.
    Er war ein lieber Mensch, an den ich
jetzt in meiner Verlassenheit gerne zurückdachte. Der Entschluß, ihn zu
verlassen und mich in den mir damals noch unbekannten Strom der großen weiten
Welt zu stürzen, fiel mir gewiß nicht leicht. Aber — Adrian Rommel stank.
Wirklich, er roch fürchterlich. Nicht etwa, weil es sich bei ihm um einen
unsauberen Menschen gehandelt hätte, im Gegenteil, er war vielmehr (oder ich)
ein Opfer seines Berufes. Adrian Rommel war Pfleger und Masseur im städtischen
Krankenhaus (daher auch der kräftige Griff), und wie Läuse in den Pelz, so
setzten sich sämtliche an seiner Wirkungsstätte freigelassenen Äther- und
Medikamentendüfte an seinem Körper fest. Es gab keine Ecke in unserer Wohnung,
aus der sie mir nicht entgegenströmten, ich empfing keine Liebkosung von ihm,
ohne mit Übelkeit zu kämpfen, für einen empfindsamen Hund ein unhaltbarer
Zustand. Um diesen Geruch ertragen zu können, hätte ich mit drei liebenden
Herzen und einem völlig unterentwickelten Geruchsinn ausgestattet sein müssen.
Ich war es nicht, und so reifte zwar langsam, aber dennoch stetig die Idee zu
dem Entschluß, mich nach einem wohlriechenderen Herrn umzusehen.
    Ich muß eine lange Wanderung gemacht
haben, nachdem ich, einen Augenblick der Unaufmerksamkeit ausnutzend, Adrian
Rommel entlaufen war. Ich merkte vor lauter Erschöpfung kaum, wie mich jemand
in eine riesige Einkaufstasche packte und davontrug, ja, ich wußte nicht
einmal, wo das geschehen war. Erst als mit einem surrenden Geräusch der
Reißverschluß über mir aufgezogen wurde, und ein freundliches altes Gesicht mit
tausend kleinen Fältchen darin sich dem meinen, neugierig hervorlugenden,
näherte, bemerkte ich, daß ich sozusagen im Schlaf zu einem neuen Befehlsgeber
gekommen war.
    Obwohl ich mir die Zeit meiner
völligen Freiheit damals etwas ausgedehnter gewünscht hätte, war ich
schließlich doch froh, daß mir das Suchen nach einer Unterkunft erspart
geblieben war. Zwar wußte ich noch nicht, wem ich da ins Netz gegangen war, ob
ich mich glücklich schätzen oder bedauern konnte, aber stinken tat das Gesicht
nicht, und das war für mich schon eine sehr beruhigende Feststellung.
    Daß ein unangenehmer Geruch jedoch
nicht das einzige im Leben eines Hundes ist, das ihn zur Verzweiflung und
schließlich auch zur Flucht treiben kann, lernte ich bei dieser Dame, in Ida
Leitweins schmaler Kammer. Allzuviel Liebe ist so eine Sache, die ich mir
fortan lieber aus sicherer Entfernung bei anderen ansehe. Es mochte ja Hunde
geben, die sich nach nichts mehr sehnten, als nach Küßchen und Schleifchen und süßen
Worten. Mir war ein herzhafter Knuff zwischen die Rippen lieber und ein
kameradschaftliches Verhältnis angenehmer, als soviel Gefühl. Natürlich, auch
ich weiß die Wonnen menschlicher Zärtlichkeit zu schätzen, und ich war stets
darauf aus, sie zu erhaschen. Nur bei einem so enormen Überangebot wie es bei
Ida Leitwein der Fall war, machte das alles keinen Spaß mehr.
    Die liebe Frau indes lehrte mich,
wie man Männchen macht und wie man am erfolgreichsten bettelt. Allerdings
erfuhr ich auch bei ihr, was es heißt, einsam zu sein und alt. Wie glücklich
man einen solchen

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