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Hurra, die Lage wird ernst

Hurra, die Lage wird ernst

Titel: Hurra, die Lage wird ernst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Bell
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vor der Wegbiegung. Sie hatte eine Strickjacke um die
füllige Taille gebunden, einen dickbauchigen Korb im Arm und einen knorrigen
Wanderstab in der Hand, den sie bei jedem Schritt energisch in den weichen
Waldboden stieß. »Das Wandern ist des Müllers Lust« sang sie laut und
vernehmlich in die stille Luft. War das ein Temperamentsbündel! Ich folgte
heimlich ihrer Fährte, nicht etwa, weil mich ihr Gesang so sehr berauschte,
viel mehr, weil sie recht schwer an dem Korb zu tragen schien, und hatte ich
nicht während dieser Wald- und Wiesenwochen gelernt, daß Taschen und Körbe von
singenden Wandersleuten immer gut gefüllt waren?
    Als die Sonne am höchsten stand,
ließ meine Sängerin ihren Stock im Boden stecken, reckte sich ausgiebig und
breitete auf dem Waldboden zuerst eine rotkarierte Decke und dann all die
Herrlichkeiten vor sich aus. Auch ich hatte eine lange Wanderung hinter mir,
die gewiß nicht kürzer war, als die der Waldfee. Sie hatte mir bestimmt die
derzeitige mangelhafte Füllung meines Magens angesehen, als ich mit hängender
Zunge näher kam, denn zu meinem großen Erstaunen lud sie mich herzlich ein,
mitzuhalten, weder Wurst noch Fleisch zu verschmähen und, wie sie sagte,
tüchtig einzuhauen. Das tat ich denn auch, und als wir alle Plastikdöschen und —
schächtelchen leergeputzt hatten, waren wir Freunde.
    Na ja, und so kam es, daß ich mit
ihr heimging. Jetzt war ich wieder in der Stadt, und ich war froh darüber. Zwar
war es gefährlicher hier, schon wegen der vielen Autos, aber dafür gab es dort
auch viel mehr Menschen und somit auch mehr Möglichkeiten für jemand, der es
nicht allzu lange an einem Platz aushielt. Wir bewohnten gemeinsam eine
Zwei-Zimmer-Küche-Diele-Bad-Wohnung. Am Tag arbeitete Adelheid/56 als Näherin
in der Küche und von zehn bis eins in der Nacht als Platzanweiserin im Atrium.
Zwar gab es, schon wegen der dauernd wechselnden Kundschaft, auch am Tag
einiges zu erleben, das bedeutendste aber geschah in diesen drei nächtlichen
Stunden, wenn ich mich auf meinem kugeligen Hocker herumdrückte und mir James
Bond in Reinkultur besah.
    Hier wurde mir wirklich viel geboten
für mein Entgegenkommen, Adelheid in der Dunkelheit als Geleitschutz zu dienen.
Hier erfuhr ich vor allem, was Technik bedeutet, und wenn ich auch nicht immer
restlos alles kapierte, was mir da vorgeflimmert wurde, so blieb doch manches
in meinem Gehirn haften, und ich erweiterte mein Wissen ganz beachtlich.
    Jetzt allerdings, in meinem
finsteren Gefängnis — was nützte mir dieses Wissen jetzt? Noch immer drang kein
Lichtschein zu mir herein, obwohl das Häuschen ein Fenster haben mußte, ich
erinnerte mich plötzlich daran. Zwar hatten die Scheiben fast blind ausgesehen
unter der dicken Staubschicht, aber sie waren doch da. Wenn ich doch wenigstens
den Mond hätte sehen können, so wie ich ihn bei meinen nächtlichen Heimwegen an
Adelheids Seite oft gesehen hatte. Ja, ja, die Adelheid, sie war die übelste
nicht. Vielleicht war es sogar eine Dummheit von mir, auch ihr auszureißen,
aber gebrannter Hund scheut Jungfern, und als sich erst der Verdacht in mir
breitmachte, es könnte sich bei ihr um eine solche handeln, war ich mehr als
vorsichtig. Zu ihrer Ehre mußte ich sagen, daß sie mich weder mit ins Bett
nahm, noch mein Fell mit ihren Tränen netzte. Sie küßte mich nicht auf die
Schnauze alles was recht war. Vielleicht war ich nur voreingenommen, denn
eigentlich Veranlassung zur Flucht hatte sie mir nicht gegeben. In der
Erinnerung merkte man doch manchmal, daß man vieles falsch gemacht hat und
vielleicht auch oft ungerecht war.
    Fräulein Adelheid war alles in allem
eine prima Alte. Sie bestand auf Gehorsam, aß dafür aber auch kein Wurstbrot,
ohne es mit mir zu teilen. Aber ich hatte mir nun einmal vorgenommen,
schnellstens wieder zu verschwinden, und so tat ich es. Allerdings erst, als
die Freundin ihren Nachtdienst im Atrium wieder selbst versehen und Adelheid,
wenn’s dunkel wurde, zu Hause bleiben konnte. Erst da, als ich für sie nicht
mehr lebensnotwendig war, machte ich mich dünn, und zu meiner Beruhigung kann
ich mich wenigstens mit dem Gedanken trösten, daß eine lebenslustige Person wie
sie an meinem Verschwinden nicht verzweifelt ist. Die dralle Adelheid, ich
wünschte ihr, sie möge noch viele Jahre leben und stellte mir ein herzliches
Wiedersehen wunderbar vor.
    Inzwischen war es Herbst geworden,
und ich mußte diesmal auf ein längeres Freiheits-Zwischenspiel

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