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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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tiefdunkles Haar.
    »Ach, Hase, Hase …«
    »…I’m weary all the time … the time … so weary all the time …«
    Draußen trampelten schwere Schuhe die Holztreppe herauf. Die beiden hörten nichts davon.
    »…since he went away, cold fear walked in to wreck me! If he stays away ol’ rockingchair will get me …«
    Draußen trommelten Fäuste gegen die Tür.
    Die beiden hörten nichts. Sie waren zu sehr bei der Sache.
    »Formann!« schrie eine Männerstimme. Englisch. »Jake Formann, gottverflucht noch mal! Machen Sie auf!«
    »Da will mich wer sprechen, Hase.«
    »Ach, so eine Gemeinheit, und ich war gerade kurz vor …«
    »Was ist los?« brüllte der Bär in höchster Erregung. Und in englischer Sprache.
    »Öffnen Sie sofort die Tür!«
    »Ich denke nicht daran!« tobte der Bär.
    Der Schreier muß dem Akzent nach Texaner sein, dachte er.
    »Wenn Sie die Tür nicht sofort öffnen, treten wir sie ein!«
    »Mein Gott, ist das peinlich«, flüsterte der seidenweiche Hase.
    »Tut mir leid«, sagte Jakob und zog sich von Julia zurück. »Du kennst die Texaner nicht. Die sind zu allem fähig.« Zornig brüllte er: »Ich bin nackt! Ich muß mir was anziehen!«
    »Aber schnell!«
    Jakob fuhr in eine Unterhose der US -Army und raste zur Tür. Der Hase zog die rot und weiß karierte Decke hoch bis zum Hals.
    »Ich zähle bis drei!« schrie der Kerl draußen. »Eins … zwei …«
    Jakob hatte die Tür erreicht und sperrte auf. Ein riesiger Texaner (also mit Akzenten kenne ich mich aus, dachte der Bär) trat in den Raum, gefolgt von zwei kleineren Sergeanten.
    »First Lieutenant Dooley vom Provost Marshal Linz«, brüllte der Texaner.
    »Was fällt Ihnen ein?« brüllte Jakob zurück. »Was wollen Sie hier?«
    Der Oberleutnant aus Texas wies ein Dokument vor.
    »Wissen Sie, was das ist, Formann?«
    »Immer noch Mister Formann für Sie! Das ist ein Haftbefehl!«
    »Richtig. Ausgestellt auf wen?«
    »Ausgestellt auf Jakob Formann«, sagte Jakob hochnäsig. Den Schreck bekam er mit Spätzündung. Er sprang richtig in die Höhe dabei. »Jakob Formann!« schrie Jakob Formann. »Das bin doch ich! Aber … aber wieso? Wie lautet die Anklage?«
    »Mord an vierzigtausend Küken!«

13
    HEUTE UND JEDEN ABEND UM 19 UHR :
    DER HEILIGE GEIST WIRD ZU UNS KOMMEN!
    (MIT ERLAUBNIS DER MILITÄRREGIERUNG)
    Die Worte standen auf einer Papptafel, die neben den Eingang einer Kirche gehängt worden war. Ja, bei den Brüdern herrscht jetzt Hochbetrieb, dachte Jakob. Krieg anfangen, Krieg verlieren, Neunte Symphonie von Beethoven spielen, Händchen falten, in die Kirche gehen …
    »Now get the hell out of this jeep, you son-of-a-bitch«, sprach der amerikanische Befreier. Jakob stieg aus.
    Die Kirche befand sich im Zentrum von Linz. Das Zentrum von Linz war im Krieg arg zerbombt worden. Trümmerschutt von eingestürzten Häusern und Dreck aller Art, dazwischen die Reste von zerstörten Wohnungseinrichtungen, verstopften hier immer noch die Straßen. Autos der Amerikaner (andere gab es nicht) fuhren Slalom durch die Ruinenstrecken. Die Trümmer waren noch immer da – nicht etwa, weil man, auch in Linz, der österreichischen Devise frönte ›Ana wird’s scho wegrama!‹ –, nein, nicht deshalb, sondern weil man in Linz auf Anordnung der Militärregierung sogenannte ›Ziegelschupfbrigaden‹ aus ehemals großkopfeten Parteigenossen und ›Goldfasanen‹ zusammengestellt hatte. Die beherrschten alle möglichen Berufe, in denen sie jetzt Berufsverbot hatten. Das Trümmerwegräumen war ihre Strafe! Sie hatten es nur nie gelernt. Aber wie es so geht, waren viele, die das Schaufeln gelernt hatten, auch stramme Nazis gewesen und standen jetzt gleichfalls unter Berufsverbot. Sie hätten den Schutt wegräumen können! Aber sie durften nicht. Zur Strafe!
    Der Kirche gegenüber befand sich ein großes Gebäude, in dem bis vor kurzem noch die Gestapo residiert hatte. Dieses Gebäude war natürlich stehengeblieben. Jetzt residierte hier der Provost Marshal. »Da rein!« Der Texaner schubste Jakob ins Haus. Die beiden Sergeanten folgten mit schußbereiten Pistolen. Jeder Versuch des Küken-Genozid-Täters, auszureißen, war sinnlos.
    Jakob wurde in den zweiten Stock geführt. Ein Gang. Eine Tafel mit der Aufschrift OFFICE PROVOST MARSHAL . Mechanisch steuerte Jakob die Richtung. Der Texaner packte ihn an den Schultern, drehte diese um neunzig Grad und wies auf eine kleine Tür am Ende des dunklen Ganges. Also marschierte Jakob gelassen,

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