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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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wie es seinem Leckt-mich-am-Arsch-Standpunkt wohl anstand, den dunklen Gang hinunter. Der Texaner klopfte, riß die Tür auf, salutierte (so taten’s auch die beiden Sergeanten) und meldete Jakob Formanns Ankunft. Dann stieß er den Verhafteten in ein kleines Büro und knallte die Tür hinter ihm zu.
    Jakob taumelte vorwärts und kam erst knapp vor einem Schreibtisch zum Stehen. Hinter dem Schreibtisch saß ein Mann in Uniform, der eine Nickelbrille trug.
    Der Mann erhob sich.
    Jakob lächelte gewinnend und sagte englisch: »Habe die Ehre, Lieutenant, Sir. Schönes Wetter heute, nicht wahr?«
    Der Lieutenant, der einen bedrückten Eindruck machte, antwortete darauf höflich deutsch, mit Frankfurter Akzent: »Wohlsein.«
    »Ich habe nicht geniest, Lieutenant, Sir«, sagte Jakob.
    »Ich habe auch nicht gesagt, daß Sie geniest haben, Herr Formann.«
    »Sie haben aber ›Wohlsein‹ gesagt.«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Weil ich so heiße. John Albert Wohlsein.«
    »Sehr erfreut, Lieutenant Wohlsein.«
    Die Herren schüttelten einander die Hände. Wohlsein hielt eine Packung Lucky Strike hin. Graziös nahm Jakob sie an sich.
    »Lieutenant stammen aus Frankfurt?« forschte Jakob.
    »Aus Offenbach, Herr Formann. Bitte, setzen wir uns doch.«
    Es folgte eine längere Pause.
    Wohlsein preßte die Fingerspitzen beider Hände aneinander und sah immer bedrückter aus.
    »Warum sehen Sie so bedrückt aus, Sir?« fragte Jakob, der Mitleid empfand.
    »Weil ich immer bedrückter werde«, antwortete Wohlsein. Seiner Gemütslage entsprach der Helligkeitsgrad des Büros. Obwohl draußen die liebe Sonne lachte, war es im Zimmer dämmrig. Das Fenster hatte nämlich keine Glasscheiben. Die meisten Fenster in den Städten Österreichs und Deutschlands hatten damals keine Glasscheiben. Alles war bei Luftangriffen zerbrochen. Jeder half sich, wie er konnte. In Wohlseins Büro trug die Fensteröffnung eine Sperrholzplatte mit sehr vielen Ausschnitten. In den Ausschnitten klebten Röntgenaufnahmen der Innereien zahlreicher Unbekannter. Man sah die verschiedensten Körperteile – Brustkörbe, Lungen, Schädel, Mägen, Därme. Voll dankbarer Erinnerung an nicht wenige Lazarettaufenthalte, die alle sehr lehrreich für ihn gewesen waren, erkannte Jakob jegliches Organ sogleich. An den hellen Stellen der Aufnahmen sickerte Tageslicht in das Büro, das meiste kam durch die Aufnahme eines prächtigen Thorax o.B.
    »Warum werden Sie denn immer bedrückter, Sir?« fragte Jakob.
    »Weil ich der Adjutant des Provost Marshal bin.«
    »Aha.«
    »Seinem Adjutanten überträgt der Provost Marshal immer die unangenehmsten Aufgaben. Hier, in diesem Abstellraum. Er sitzt vorne in einem herrlichen Raum und bei schönstem Tageslicht. Seine Affären läßt er mich hier, in diesem dreckigen Loch, in Ordnung bringen. Abseits. Versteckt. Damit möglichst keiner weiß, daß bei uns ab und zu was passiert.«
    »Aha«, sagte Jakob zum zweitenmal und dachte, zu dem provisorischen Fenster blickend: Mit
dem
Magengeschwür ist, wer immer, hoffentlich gleich zum Chirurgen gerannt!
    Wohlsein schlug kraftlos auf ein paar Papiere, die vor ihm lagen.
    »Schöne Schweinerei«, sagte er dazu.
    »Was, bitte?«
    »Das da ist ein Rapport, den uns Colonel Hobson vom Hörsching Airfield gestern abend noch geschickt hat.«
    »Eiweh«, sagte Jakob.
    »Sie haben leicht Eiweh sagen«, beklagte sich Wohlsein. »Aber ich muß sehen, wie wir diesen fucked-up shit aus der Welt schaffen.« Er fügte hastig hinzu: »Colonel Hobson ist ein vorbildlicher Offizier!«
    »Ich habe Colonel Hobson nur …«
    »Halten
Sie
bloß den Mund, Herr Formann, ja? Enteneier! Fleckfieber! Epidemie, Seuchengefahr! Alle Westmorelands verbrennen, auf der Stelle! Vierzigtausend Westmorelands!« Wohlsein erhob sich zu seiner ganzen riesigen Größe und trat an das eigenwillige Fenster. Er wandte Jakob den Rücken.
    Eijeijeijeijei, dachte der.
    Na ja. Wie Gott will. Was werde ich kriegen? Zwei Jahre? Drei Jahre? Fünf? Und meine Freunde? Ich nehme alle Schuld auf mich, das ist klar. Aber wird das helfen?
    »Hören Sie mal zu, Herr Formann«, sagte Wohlsein dumpf, während er, die auf dem Rücken ineinander verkrampften Hände öffnend und schließend, durch einen Gebärmutterhals auf die Straße hinausblickte. »Habe ich Ihr Ehrenwort …«
    »Selbstverständlich! Mein
großes!
«
    »Lassen Sie mich ausreden, bitte, lieber Herr Formann!« (
Lieber
, hat er gesagt! Was ist
jetzt
los?) »Habe ich Ihr Ehrenwort, daß

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