Hurra, wir leben noch
hirnverbrannteste Arschloch bist, das mir je begegnet ist«, schloß George Misaras ungefähr ein Jahr später, am 5. Juli 1962, seinen Bericht über alles, was passiert war. Er hatte lange gesprochen, immer so lange, bis er absolut keine Luft mehr bekam. Dann holte er, wie eben jetzt, röchelnd Atem. Und schlug vor Wut auf den Tisch dabei.
»Wieso bin ich das größte und hirnverbrannteste …«, begann Jakob empört, aber George ließ ihn gar nicht zu Ende reden. »Weil du sehr bald dein ganzes Geld an diese Mistbiene verloren haben wirst, darum!« rief er lauthals.
»Georgie-Boy, du weißt, wie gerne ich dich habe, aber wenn du dieses widerliche Wort im Zusammenhang mit jenem Traumwesen noch einmal gebrauchst, vergesse ich mich!« rief Jakob.
»Traumwesen, daß ich nicht lache! Russisch-englische Aristokratin, daß ich nicht an freudlosem Gelächter ersticke!« tobte Misaras wieder los. »Ich habe mich erkundigt! Die Mutter von diesem Früchtchen war adelig und ist irgendwann einmal abgehauen, wann, weiß keiner so genau. In Graz hat sie dann rumgehurt auf Teufel komm raus – eben auch mit einem britischen Offizier, der weiß Gott kein Firmenchef und schon gar kein Aristokrat gewesen ist. Nur daß er sie angebufft hat. Und sie haben’s nicht mehr wegmachen können, es war schon zu spät. Der Papa ist übrigens abgehauen, noch vor der Geburt! Das hat sie dir nicht erzählt, dein Traumwesen, was?«
»N-nein … Und das ist auch eine gemeine Lüge!«
»Das ist keine Lüge! Der Chef unserer englischen Niederlassung ist ein Freund von mir, der hat drei Agenturen angesetzt auf die englischen Aristokraten! Aus dem Kohlenpott ist der! Nichts gegen den Kohlenpott, um Himmels willen, du weißt, ich bin ein Linker! Aber da siehst du, wie dich dein Traumwesen vom ersten Moment an belogen hat, das Biest!«
»George, sag das noch mal, und ich knall’ dir eine!«
George sagte es noch einmal.
Jakob knallte ihm eine.
»Trottel«, sagte Misaras und hielt sich die Backe, denn Jakob hatte ordentlich hingehauen, »siehst du denn nicht, wie die dir das Geld aus der Tasche zieht? Millionen und Abermillionen! Seit einem Jahr bist du jetzt mit ihr zusammen! Unzertrennlich, wie?«
»Bitte, George!«
»Was, ›bitte, George‹? Hast ihn doch Tag und Nacht drinnen bei der! Ich weiß, du warst immer ein munterer Hahn, aber jetzt rammelst du dich noch zu Tode in der Blüte deiner Jahre!«
Dann hatte er wieder eine weg. Diesmal schlug er zurück. Jakob setzte sich überrascht auf den Fußboden in Misaras’ schönem Haus an der Rossmoyne Street. Es lagen da überall herrliche Teppiche herum. Ausgerechnet dort, wo Jakob sich setzte, lag keiner. Der Schmerz schoß ihm vom Steißbein ins Hirn.
»Einen Dreck rammle ich!« ächzte Jakob. »Nimm das Wort im Zusammenhang mit diesem Gottesgeschenk nie mehr in den Mund! Glaubst du, dieser Engel ist käuflich? Ab und zu ein scheuer Kuß auf den Mund, das ist alles, was sie sich vergibt!«
Misaras sah aus wie ein sprachloser Kretin.
»Mach’s Maul zu!«
Misaras befolgte die Aufforderung nicht, sondern stammelte fassungslos: »In Jugoslawien bist du mit ihr gewesen! In Rußland! In Deutschland! In Japan! In Polen! Bei all den Plastik-Werken! Überallhin hast du sie mitgeschleift auf deiner Raserei durch die Welt! Nach Südamerika, zu unserer Niederlassung in Buenos Aires! Nach Mexiko! Nach Peking! Weil du dort auch baust! OKAY hat dauernd Fotos von ihr gebracht, und so ein armer Hund hat sich immer wieder Hymnen dazu einfallen lassen müssen!«
»Der wird dafür bezahlt, der Schreiber!« brüllte Jakob.
»In Kairo warst du mit ihr! In Indien! In Portugal! In Spanien! In Italien! Überall, wo du deine Geschäfte machst! Allen deinen Partnern und deinen Gegnern hast du sie präsentiert wie das Huhn, das goldene Eier legt! Jawohl, Gegnern habe ich gesagt! Du hast eine Menge, und es werden immer mehr, je erfolgreicher du wirst! Richtige Feinde hast du! Die warten nur darauf, dir das Messer in die Rippen zu rennen! Gib dir nur Blößen! Gib nur, gib nur! Renn selber in ihr Messer! Du glaubst, du bist der einzige reiche Mann auf der Welt? Trottel, verfluchter! Dein Riesenimperium ist bisher so geschmiert gelaufen, weil du immer über genügend Bargeld verfügt hast und alle anderen schnellstens austricksen konntest!«
»Das kann ich immer noch!«
»Wer’s glaubt, wird selig! Mann, diese Natascha, die melkt dich vielleicht!«
»Ich verbitte mir diesen ekelhaften Ausdruck!«
Misaras
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