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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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den unterschiedlichsten Mitgliedern der Organisation, die Laureen aufgezogen hatte, angelaufen und benützt.
    An der Gare de l’Est hatte Laureen Jakob abgeholt. Sie hielt einen Riesenstrauß Orchideen in der Hand, den sie sich selbst gekauft hatte. Im Gewimmel der aus dem Zug Steigenden überreichte sie den Strauß Jakob, wonach sie einander so lange und leidenschaftlich küßten, daß es auf dem Bahnsteig zu Stauungen kam. (»Daß du mir ja leidenschaftlich genug bist!« hatte Jakob Laureen beim ersten Wiedertreffen eingeschärft. »Gehört alles zum Human touch! Auch im Hotel mußt du dich benehmen wie seit gestern verheiratet!«)
    Auf der Gare de l’Est war Jakob sodann mit einem der fünf Koffer und seinem billigen Fiber-Koffer in die Herrentoilette gegangen. Dort hatte er sich eingeschlossen und umgekleidet. (Rasiert hatte er sich noch im Schlafwagen.) Seine schreiend bunte amerikanische PX -Kleidung aus Linz – (Ach, ist das eine Ewigkeit her! Was wohl der arme Hase macht? Ich wünsche mir so sehr, daß ich mich wieder um ihn kümmern könnte, dachte er voll Selbstmitleid, aber ich muß doch meinen Krieg gewinnen!) – hatte er sodann in dem billigen Fiber-Koffer verwahrt, nachdem er der alten Jacke alle die liebevoll von Josef Mader (dem mit den Schmalzbroten) gefälschten Dokumente und der alten Hose die glückbringende Hasenpfote entnommen hatte. Der Fiber-Koffer ruhte nun in einem Fach der Gepäckaufbewahrung. Und wenn ihn niemand herausgeholt hat, ruht er noch heute dort.
    Laureens Schrankkoffer waren voller Dior-Kleider, Kostüme, Abendroben, feinster und raffiniertester Wäsche und kostbarer Schuhe. In dieser Nacht trug Laureen ein schlichtes Woll-Jersey-Kostüm (Dior), einen Nerzmantel (›Black Diamond‹), einen verwegen schief aufgesetzten Filzhut mit breiter Krempe und ausreichend Chanel No. 5.
    Jakob holte noch einmal tief schlechte Stadtluft, dann zog er den Kopf zurück, schloß das Fenster und drehte sich um. Laureen trug nur noch ausreichend Chanel No. 5.

42
    Es war schon hell, als Mrs. Fletcher dazu kam, ihren Champagner, und Mr. Fletcher dazu kam, sein ›Perrier‹ zu trinken. Die Jungvermählten hatten es beide außerordentlich eilig und nötig gehabt, und so waren die Stunden dahingeflossen. Nachdem Mrs. Fletcher genügend Champagner und Mr. Fletcher genügend ›Perrier‹ getrunken hatten, gingen sie zunächst ins Badezimmer des Luxus-Appartements. Danach fielen sie wieder übereinander her.
    Das Frühstück nahmen sie um 11 Uhr zu sich. Im Appartement. Zu Mittag aßen sie um 15 Uhr. Wieder im Appartement. Sie hatten sich die Speisekarte bringen lassen. Die Preise waren astronomisch und für den normalen Mitteleuropäer nicht nur unerschwinglich – woher hätte der denn auch das Geld nehmen sollen? –, sondern schlechthin unvorstellbar. Mr. und Mrs. Fletcher waren keine normalen Mitteleuropäer. Das Personal wechselte bereits bedeutungsvolle Blicke. So muß es sein, nur so geht die Chose mit meinem Human touch, dachte Jakob, als er bemerkte, wie einer der beiden Kellner, die im Salon servierten, den andern ansah, und wie sie dann beide in Laureens Dekolleté starrten, das unter dem listig sich öffnenden Morgenmantel außerordentlich günstig zu betrachten war. Jakob trug ebenfalls einen Morgenmantel, ihm schaute aber keiner in den Ausschnitt, obwohl er einen goldgelben Pyjama und golden glänzende Pantoffeln besaß. Damit aber die Kellner auch von ihm etwas zu sehen bekamen, streichelte er fleißig Laureens Hals, Nacken und Arme.
    Am späteren Nachmittag ruhten Mr. und Mrs. Fletcher. Dann badeten sie gemeinsam, was natürlich wiederum Folgen hatte. Anschließend badeten sie, jeder allein, noch einmal, und dann zog Jakob – zum erstenmal in seinem Leben! – einen Smoking an. Laureen wählte ein langes Kleid aus weißem Seidenchiffon, das die Brüste hoch- und herausstemmte und sich, gefältelt, eng an den Körper schmiegte.
    Während des Anziehens in dem eigens dafür vorgesehenen Raum des Appartements blickte Jakob plötzlich starr auf seine Lackschuhe (er hatte auch noch nie im Leben Lackschuhe getragen). Laureen bemerkte es.
    »Warum stierst du denn so auf deine Lackschuhe?« fragte Laureen, mit ihren Nylonstrümpfen beschäftigt.
    »Ich denke gerade an die armen Frauen und Kinder, die wir im Himmler-Hof gefunden haben«, sagte Jakob und bewegte die Füße mit den Lackschuhen hin und her.
    »Was ist mit denen?« Laureen schlüpfte in das Chiffonkleid.
    »Die haben es

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