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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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jetzt warm und schön in der ›Nibelungentreue‹, fast so wie wir«, sagte Jakob. »Hab’ dir doch erzählt, nicht?«
    »Ja, hast du.« Laureen gab leichte Zeichen von Nervosität zu erkennen. »Würdest du mir bitte den Reißverschluß und die Häkchen hinten zumachen, Liebling?«
    Er stand auf und trat hinter Laureen. Es gibt so vieles, was ich nicht kann, dachte er. Aber Frauen an- und ausziehen, das konnte ich schon immer. Allerdings hatten sie nicht solche sündteuren Fetzen an. Er nestelte an den Häkchen, während er sprach. »Den Himmler-Hof haben wir also erobert, der Wenzel und ich. Wenzel hat im Tiefbunker beim Hauptbahnhof dreißig Mann ausgesucht, die machen den Dreckstall erst mal sauber. Jetzt frieren
die
, die armen Hunde. Woher sie was zu fressen bekommen, ist mir ein Rätsel. Wenzel hat allerdings gesagt, es gibt eine Menge abzustauben bei den Bauern, und so eine Sau ist schnell organisiert und geschlachtet. Aber auf die Dau …«
    Danach geschah etwas zutiefst Erschreckendes. Nie wieder ist in Jakobs Leben ähnliches geschehen. Etwas Derartiges ereignet sich – und wir haben uns bei mehreren international bekannten Psychiatern erkundigt – überhaupt höchst selten: daß nämlich ein Mensch in einem Zustand der Erstarrung und der Trance die Summe aller Erfahrungen zieht, die er noch gar nicht gemacht hat, die er erst machen wird! Das Phänomen erleben die Betroffenen unbewußt. Niemand erträgt es bewußt – haben uns die international berühmten Psychiater gesagt – mit Ausnahme von Heiligen, und selbst diese finden es schwierig.
    Jakob stand, die Finger an der Häkchenreihe über dem Reißverschluß von Laureens Kleid, unbewegten Gesichts, wie zu Stein erstarrt. Sein Gesicht hatte einen absolut idiotischen Ausdruck angenommen, seine Stimme, mit der er nun plötzlich leiernd redete, einen völlig anderen Tonfall.
    »Eitelkeit«, sprach Jakob mit fremd klingender Stimme. »Eitelkeit der Eitelkeiten. Alles ist eitel …«
    Laureen fuhr herum. »Jakob!«
    Doch der sah und hörte sie nicht.
    »Ein Geschlecht«, leierte er, »geht, und ein Geschlecht kommt, die Erde aber bleibt bestehen ewiglich …«
    »Jakob!« rief Laureen. »Laß den Quatsch! Du hast mich zu Tode erschreckt!«
    Jakob sprach in seinem absonderlichen Singsang weiter, ohne sie zu beachten: »Die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter und läuft an ihren Ort, daß sie wieder aufgehe daselbst …«
    »Mein Gott, Jakob! Liebster Jakob! Armer Jakob! Du hast den Verstand verloren! Ein Arzt … ein Arzt …« Sie wollte aus dem Umkleideraum zu einem Telefon eilen, aber Jakob stand mitten im Zimmer, und sie wagte sich nicht in seine Nähe. Das Ganze war gespenstisch. Sie wich zurück.
    »Alle Wasser laufen ins Meer«, psalmodierte Jakob, »doch das Meer wird nicht voller; an den Ort, da sie herfließen, fließen sie wieder zurück …«
    »O mein Gott«, flüsterte Laureen erschüttert.
    Unbeweglich stand Jakob, während er wie aus dem Schlaf sprach: »Ich will meine Eier. Du willst etwas anderes. Wenn wir haben, was wir wollen, werden wir wieder etwas anderes haben wollen. Sieh dir die Welt an! Was in ihr geschieht, und was die Menschen tun, und was die Menschen sich wünschen … Alles das, was geschieht und was sie tun und was sie sich wünschen, alles das, was wir Leben nennen, ist nicht so ungeheuer wichtig und ist nicht so ungeheuer tragisch und ist nicht so ungeheuer aufregend, wie wir wohl denken, sondern nur ungeheuer
blöde
 …«
    Laureen stand mit halbgeschlossenen Häkchen vor ihm, dessen Hosen-Reißverschluß nur halb geschlossen war, und flüsterte: »Jakob, mein armer, armer Jakob …«
    »Dank dieser ungeheuren Blödheit der Menschen«, sprach Jakob entrückt und mit Toilettefehler, »werde ich meinen Krieg gewinnen. So wie noch nie ein Krieg gewonnen worden ist! Denn ich werde mich auf die Seite der einen schlagen und an ihrem Munde hängen und ihnen recht geben in allem, und ich werde mich auf die Seite der anderen schlagen und ihnen recht geben in allem und an ihrem Mund hängen, und ich werde sie bewundern und beschenken und werde glauben, was beide Seiten mir sagen, obwohl ich deutlich, ganz deutlich spüre, daß man auf keiner der beiden Seiten stehen kann. Weil sie nämlich alle beide stinken …«
    »Manchmal hilft ein heftiger Schock«, murmelte Laureen todesmutig und trat an Jakob heran.
    Der fuhr aus seiner Erstarrung empor. Der Blick seiner verschwommenen Augen wurde klar, er sah Laureen

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