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Hurra, wir leben noch

Hurra, wir leben noch

Titel: Hurra, wir leben noch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Mario Simmel
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erläuterte nun der Handelsattaché. Ihre Großväter waren klapprige alte Fürsten und fuhren klapprige alte Taxis. Viele russische Blaublüter hatten, wie der abgrundhäßliche Amadeo Juarez erzählte, nach 1917 Mütterchen Rußland verlassen und waren vor allem nach Paris gegangen. Ihre Enkel wollten nicht mehr Russisch lernen.
    »Ich kann mir’s ganz gut vorstellen, daß es den Alten zu Hause nicht mehr gefallen hat«, sagte Jakob. Er hatte so seine Erfahrungen. »Bitte, bitte, beginnen Sie zu essen!« Jakob unterbrach sich und lächelte gewinnend. Noch nie im Leben hatte er Austern gegessen und also keine Ahnung, wie man das anfing. Er mußte es nachmachen. Er machte es nach. Einmal sah er dabei zu Laureen hinüber, einmal zu Juarez. Mit einem Gäbelchen fing es an. Natürlich erwischte Jakob zunächst die größte Gabel, die vor ihm lag. Laureen hustete. Jakob blinzelte, legte die größte Gabel zurück und nahm die kleinste. (»Da wird eine Menge Besteck um deinen Teller liegen, Schatz«, hatte Laureen im Hotel noch gesagt. »Der Fall ist ganz einfach, du arbeitest dich von außen nach innen.«) Haha, und jetzt habe ich gedacht, von innen nach außen! Na ja, dachte Jakob, außer Laureen hat’s niemand gemerkt. Er nahm eine Austernhälfte zur Hand wie seine Tischnachbarn, träufelte wie diese Zitrone darauf (der Attaché roch auch noch intensiv an dem Zeug, bevor er träufelte, aber das erschien unserm Freund etwas überspannt), sodann schälte Jakob, aufmerksam alle Bewegungen seiner Begleiter nachahmend, das schlabbrige grau-bräunliche Zeug aus der harten Schale, hob Schale und Schlabbriges zum Munde und glaubte, sich übergeben zu müssen. Rotz mit schlechtem Fischgeschmack! Er unterdrückte mühsam seinen Ekel und schluckte das Zeug. Und was das kostet! dachte er. Weit, weit entfernt glitt, ein Schatten nur, Josef Mader, der Fälscher, Schmalzbrot essend, vorbei. Was hätte Jakob jetzt für ein Schmalzbrot gegeben! Aber: Nimm dich zusammen! sagte er zu sich selbst. Du führst Krieg. Du willst ihn gewinnen. Gegen diese ganze verfluchte Welt. Da heißt es auch Opfer bringen und Austern essen. Die zweite, o Gott. Neun hat jeder von uns bestellt. Runter damit! Bleiben immer noch sieben.
    »Hervorragend«, wagte Jakob zu sagen.
    »Ganz hervorragend, Mister Fletcher.« Der Attaché betupfte sich mit seiner Serviette die Lippen. »Ich esse nur Belons. Niemals die spanischen.«
    »Ich auch«, sagte Laureen. »Die spanischen verdaut man schwer, sie sind so fett.«
    »Absolut richtig, Darling«, sagte Jakob und küßte Laureens Hand.
    »Igitt! Nicht doch, Schatz! Deine Lippen und deine Hand sind doch jetzt auch fett.«
    »Würde ich spanische essen, wären sie noch fetter«, gab Jakob von sich und lachte schallend. Na schön, dachte er, keiner lacht mit. Großer Gott, noch sechs Stück von dem Schlabberzeug. Ob ich nicht einfach aufstehe und weggehe, zurück zu Wenzel, zum Hof des Herrn Reichsführers Himmler? Er stand nicht auf. Er schluckte heldenmütig weiter. Kellner brachten silberne Schalen voller Wasser, auf dem große Zitronenstücke schwammen. Jakob versuchte munter Konversation zu machen. »Hier in Paris, Señor Juarez, können wir uns in der Öffentlichkeit treffen. Können ausgehen wie heute und vergnügt …« Uah! Wieder eine, runter damit! »… sein wie heute. Alte gute Freunde … hrm.« (Und ich übergebe mich doch noch. Das habe ich wirklich nicht gewußt, daß alle feinen, reichen Leute pervers sind.) »Wenn wir uns jedoch jetzt in Belgien sehen, kennen wir uns nicht, sind wir uns absolut fremd. Fremder als fremd. Sie verstehen, mein Lieber?« Noch fünf.
    »Ich verstehe, Mister Fletcher.«
    »Iß deine Austern, Liebling«, flötete Laureen. »Oder sind sie nicht in Ordnung? Du machst so ein … gequältes Gesicht. Warte, ich winke dem Maître. Er soll dir sofort neun neue brin …« Verdammter Scheiß! Noch einmal alles von vorne! Jakob ließ Laureen nicht aussprechen.
    »Das sind die besten Austern, die ich je gegessen habe, ich bitte dich, Darling!« Und die fünfte. Dafür hätte ich das EK 1 verdient! Ääääh, das ist einfach zu widerlich! Jakobs Hände bebten, als er die nächste Auster zum Munde führte. Er schabte sie aus der harten Schale, hob das Gäbelchen – und blitzschnell rutschte die Auster davon, talwärts. Eijeijeijei! Jakob stockte der Atem. Wenn das jemand gesehen hat …
    Es hatte niemand gesehen, nicht einmal Laureen und Juarez. In der ›Sheherazade‹ brannten

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