Hurra, wir leben noch
Trinkgelder zu verteilen.) Der Attaché und Jakob kletterten in den Wagen.
»Wo sind die Scheckhefte und die Papiere von Rubi?« fragte Jakob.
»Hier.« Der Handelsattaché war maulfaul. Er reichte Jakob einen Diplomatenkoffer. »Hat mir Ihre Frau gegeben.«
Das ist der Diplomatenkoffer, den mir der Hase in Linz im PX gekauft und zu Weihnachten geschenkt hat, dachte Jakob sentimental. Der Hase … wie gemein benehme ich mich gegen ihn. Und ganz gewiß werde ich niemals im Leben und in der ganzen Welt eine bessere Frau finden als Julia, mein Gott. (Genau diesem Gedanken hat er in Abständen das ganze nächste Vierteljahrhundert hindurch nachgehangen.)
»Jetzt geben Sie mir den anderen Paß.« Daraufhin gab der mürrische Juarez ihm den Paß, den der Milliardär Cortez in Paris verloren und den nun Juarez mit über die Grenze gebracht hatte. Juarez besaß diplomatische Immunität. Er und sein Wagen wurden niemals untersucht. (Schlauer Franzl!)
Jakob nahm den erstklassig gefälschten amerikanischen Paß auf den Namen Jerome Howard Fletcher aus der Jackentasche und reichte ihn Juarez, der ihn aufbewahren sollte. Den echten argentinischen Paß steckte er ein.
»Was ist los mit Ihnen, Juarez? Warum sind Sie so mürrisch?«
»Ich bin nicht mürrisch, ich bin müde.«
»Sie sollten doch nachmittags schlafen!«
»Habe ich auch.«
»Aber nicht allein«, sagte Jakob ergrimmt.
»Sie kennen Yvonne nicht. Das ist die süßeste …«
Mit diesem Typ muß man gleich Fraktur reden, dachte Jakob und schnauzte den Mann, der an übermäßiger Hormonausschüttung litt, an: »In der nächsten Zeit werden Sie sich zusammenreißen, verstanden? Es wird Ihnen ja Gott behüte wohl möglich sein, für einen Riesenverdienst zehn Tage lang nicht herumzuhocken!«
»Ich will’s versuchen«, sagte Juarez kläglich, »aber versprechen kann ich es nicht. Es ist einfach zu stark – stärker als ich, Señor Cortez.«
Zwei Stunden später erreichten die beiden einen Taxistand an der Peripherie von Brüssel. Gemeinsam holten sie Jakobs Schweinslederkofferpracht aus dem Wagen. Dann wählten sie ein Taxi, in dem all die Koffer auch Platz hatten.
»Ich rufe Sie an«, sagte Juarez.
»Aber nur …«
»…aus einer Telefonzelle«, knurrte Juarez gereizt. »Ich bin kein Idiot.«
»Geb’s Gott!« Jakob sah dem Bentley nach, der davonschoß. Wetten könnte ich, daß der Kerl schon wieder zu irgendeiner Puppe saust, die er in Brüssel kennt, dachte er traurig. Es ist zum Verzweifeln mit dem Burschen! Das ist ja ein … ein … na ja, eben ein!
Jakob nannte dem Chauffeur den Namen des Hotels, zu dem er wollte. » PLAZA , sehr wohl, Monsieur. Sind Sie Amerikaner?« Der Taxifahrer drehte sich um. Das hätte er nicht tun sollen. Er stieß um ein Haar mit einem anderen Taxi zusammen, das gerade vorüberfuhr. Halt. Große Beschimpfung, von der Jakob nichts verstand. Zwei Worte blieben haften: ›Flame‹ und ›Wallone‹. Endlich hatten die beiden Herren sich ausgetobt. Sein Fahrer kletterte hinter das Steuerrad, wüst vor sich hinfluchend. Nur soviel verstand Jakob, daß der Chauffeur dauernd einen dreckigen Flamen verfluchte. Das muß der andere gewesen sein, überlegte Jakob. Aber was sind Flamen? Und was sind Wallonen? Um Gottes willen nicht fragen, sonst gibt’s einen richtigen Unfall! Ich werde mich erkundigen. Vielleicht kann man dabei was herausschlagen. Ich habe schon aus den sonderbarsten Sachen was herausgeschlagen …
Auf dem Weg durch die Stadt beruhigte der Taxifahrer sich langsam. Gott sei Dank, dachte Jakob. Ich hab’ mich nicht durch einen ganzen Krieg gerettet, damit mich jetzt irgend so ein Fallone oder Walme totfährt.
»Nein, Argentinier«, antwortete Jakob. Mit einiger Verspätung.
»Was, Argentinier?« fragte der Chauffeur, der englisch mit schwerem Akzent sprach.
»Bin ich. Haben sie mich gefragt. Vorhin.«
»Ah!« Der Chauffeur begann zu schwärmen. »Schauen Sie sich das an, Sir! Klein-Paris hat man Brüssel immer schon genannt. Aber ich glaube, jetzt ist es mehr Paris als Paris selber!«
Das stimmte. Jakob erblickte breite Boulevards, Luxusgeschäfte, Häuser mit üppigem Stuck. Alle Straßen waren taghell erleuchtet. Hier existierten offenbar keine Strombeschränkungen. An den Geschäftshäusern sah man Leuchtreklamen in allen Farben. Der Chauffeur teilte Jakob mit, daß die Geschäfte bis Mitternacht geöffnet seien. In den Schaufenstern lagen Luxusartikel aus der ganzen Welt. Belgien hat den Krieg eben
Weitere Kostenlose Bücher