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Hustvedt, Siri

Hustvedt, Siri

Titel: Hustvedt, Siri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Sommer ohne Maenner
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Hexeneintopf. Ich weiß es, weil ich es
erlebt habe. Aber bevor ich darauf zu sprechen komme, möchte ich Ihnen, dem freundlichen
Menschen da draußen, sagen, dass, wenn Sie jetzt hier bei mir auf dieser Seite sind,
ich meine, wenn Sie bis zu diesem Absatz gekommen sind, wenn Sie nicht aufgegeben
haben und mich, Mia, nicht im hohen Bogen durchs Zimmer geworfen haben, oder, selbst
wenn, Sie sich dennoch fragen, ob nicht bald etwas passiert, und wenn Sie mich
wieder aufheben und weiterlesen, dann möchte ich die Hände nach Ihnen ausstrecken
und Ihr Gesicht in beide Hände nehmen und es mit Küssen bedecken, Küsse auf Ihre
Wangen und Ihr Kinn und über Ihre ganze Stirn und einen auf den Rücken Ihrer (jeweils
unterschiedlich geformten) Nase, weil ich die Ihre bin, ganz die Ihre.
    Ich wollte
nur, dass Sie das wissen.
    Alice kam nicht
zum Unterricht. Es waren nur sechs, und als ich fragte, ob eine von ihnen wisse,
ob Alice krank sei, sagte Ashley von sich aus, es könne eine Allergie sein; Alice
sei gegen alles Mögliche allergisch, und ein Kichern breitete sich unter ihnen aus,
eine kleine Humor-Epidemie, was mir Gelegenheit gab zu fragen: «Sind Allergien
witzig?»
    Die Mädchen
verstummten, und so stürzten wir uns auf Stevens und Roethke und auf die Frage,
was es bedeutet, sich etwas, irgendetwas wirklich anzusehen, und wie das Ding nach
einer Weile immer befremdlicher wird, und ich machte sie zu lauter Phänomenologinnen
und ließ sie Stifte, Radiergummis, meine Packung Kleenex und ein Handy ansehen,
und wir schrieben über das Sehen und über Dinge und Licht.
    Nach dem Kurs
warteten Ashley, Emma, Nikki und Nikkis Schatten Joan mit der Nachricht auf, Alice
sei in letzter Zeit etwas «seltsam» gewesen und habe «gestern erst eine Szene gemacht,
weil sie keinen Spaß vertragen» könne. Als ich fragte, was für ein Spaß das gewesen
sei, schaute Peyton belämmert drein und wandte den Blick ab. Jessie sagte mit ihrer
hohen, dünnen Stimme, ich müsste mittlerweile doch wissen, dass Alice «irgendwie
anders» sei.
    Ich lavierte
mich mit der Bemerkung durch, dass Alice eben Alice sei und dass mir keine beunruhigenden
Unterschiede besonders aufgefallen seien, wir alle hätten unsere Eigenarten. Ich
äußerte vorsichtig, dass sie in der letzten Stunde «gut gelaunt» gewirkt (ohne zu
erkennen zu geben, dass ich wusste, warum) und ein amüsantes Gedicht geschrieben
habe, daher sei ich überrascht, dass sie keinen Spaß vertragen könne.
    Ashley lutschte
ein Pfefferminz oder ein anderes Bonbon, und ich sah ihrem Mund zu, der sich bewegte,
als sie den Drops mit nachdenklichem Blick darin herumschob. «Na ja, sie nimmt
Pillen gegen irgendwas mit ihrer Stimmung, wissen Sie, weil sie ein bisschen ...»
Ashley ließ den Finger vor der Stirn kreisen.
    «Das wusste
ich gar nicht», sagte Peyton laut.
    «Willst du
damit sagen, sie hat ADHS?», sagte Nikki.
    «Sie hat nicht
gesagt, wie es heißt; es ist irgendwas ...», sagte Ashley mit umflortem Blick.
    «Die halbe
Schule nimmt doch irgendwelches Zeug, Ritalin oder so», verkündete Peyton. «Das
ist nichts Besonderes.»
    Ich sah, wie
Emma Peyton einen harten, tadelnden Blick zuwarf. Subtilität war nicht Emmas Sache.
    Die Aufklärung
darüber, was mit Alice los war, kam nicht voran. Ich lächelte die um mich versammelte
kleine Gruppe an und sagte sehr langsam: «Vielleicht könnt ihr es nur schwer glauben,
aber ich war auch einmal jung, und mehr noch, ich erinnere mich daran. Ich erinnere mich sogar daran, wie ich genau
in eurem Alter war, und ich erinnere mich auch an solche Spaße. » Es war ein filmischer Moment, und ich war mir dessen vollkommen
bewusst. Ich tat mein Bestes, meinen allwissendsten, autoritärenAusdruck der von
ihren Schülerinnen geliebten guten Lehrerin aufzusetzen, eine Kreuzung zwischen
Mr. Chips und Miss Jean Brodie, und dann klappte ich Theodore Roethke zu, stand
auf und ging ab. Im Film würde jetzt die Kamera meinem Rücken bis zur Tür folgen,
während meine High Heels - in Wirklichkeit Sandalen - flott über die Dielen klappern,
und dann bleibe ich stehen, nur einen Augenblick, drehe mich um und werfe einen
Blick über die Schulter zurück. Die Kamera ist jetzt nah. Nur mein Gesicht ist sichtbar,
und auf der Leinwand ist es riesig, vielleicht vier Meter groß. Ich strahle Sie,
das Publikum, an, drehe mich wieder um, und die Tür schlägt mit einem lauten nachgemachten
Klick hinter mir zu.
     
    Mit Abigail
schien etwas nicht in Ordnung zu sein. Meine

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