Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
einschließlich einer kostenlosen Ausbildung überhäuft worden.
»Nimm es als Lektion«, hatte sein Vater zu ihm gesagt. »Niemand erinnert sich an den Ersten Maat von Kolumbus. Du musst immer nach der Spitzenposition streben.«
Darüber hatten sie oft gescherzt, aber Marcel hatte auch die Weisheit hinter den Worten erkannt, und nun hing eine Variation dieses Ausspruchs über dem Tisch in seinem Quartier. Spring auf oder bleib stehen. Es war vielleicht keine sonderlich poetische Aussage, aber sie erinnerte ihn immer wieder daran, dass er nichts dem Zufall überlassen durfte.
Sein Vater war über die Ziellosigkeit in Marcels Jugendjahren enttäuscht gewesen, und er war gestorben, während Marcel sich noch hatte treiben lassen, zweifellos in der Überzeugung, sein ungeratener Nachwuchs würde in seinem Leben nie etwas aus sich machen. Er hatte Marcel in eine kleine Lehranstalt in der Nähe von Lyon gesteckt, die sich auf widerspenstige Schüler spezialisiert hatte. Dort hatte man ihn mit Voltaire bekannt gemacht.
Möglicherweise hatte es am unerwarteten Tod seines Vaters gelegen oder an Voltaires Schriften oder an dem Mathematiklehrer in seinem zweiten Jahr an der Oberstufe, der an ihn geglaubt hatte (aus Gründen, die Marcel nie verstanden hatte), oder an Valerie Guischard, die ihn unverblümt abwies, weil sie sich niemals mit einem Mann ohne Zukunft einzulassen gedachte. Was immer letztlich den Ausschlag gab, Marcel hatte schließlich doch beschlossen, die Welt zu erobern.
Ganz hatte er das nicht geschafft, aber zumindest war er Captain eines interstellaren Raumschiffes. Zwar war es zu spät für Valerie, aber keine Frau würde ihm jetzt noch mit dem Argument weglaufen, er habe ihr nichts zu bieten.
Die Raumfahrt hatte sich indessen als weit weniger romantisch herausgestellt, als ihm seine Erwartungen versprochen hatten. Marcels Leben drehte sich auch im Dienste der Akademie darum, Passagiere und Fracht mit monotoner Regelmäßigkeit von einer Welt zur anderen zu schaffen. Er hatte gehofft, eines Tages ein Forschungsschiff zu befehligen, sich außerhalb dieses Einerleis zu bewegen, an Orten, die niemand je zuvor gesehen hatte; Schiffe wie die Taliaferro, die vor einundzwanzig Jahren erbaut worden war und Morgans Welt entdeckt hatte. Das war die Art von Leben, das er sich wünschte. Aber diese Schiffe waren recht klein, weshalb die Piloten üblicherweise auch Teil des Forschungsteams waren. Das waren Astrophysiker, Exobiologen, Klimatologen, Leute, die viel zu der Mission selbst beizutragen hatten. Marcel konnte ein Schiff kommandieren und notfalls die Kaffeemaschine reparieren. Tatsächlich war er sogar ein versierter Techniker, einer der wenigen Piloten, die unterwegs auch größere Reparaturen durchführen konnten. Diese Fähigkeit war durchaus angesehen, aber sie stellte nur einen Grund mehr dar, warum die Akademie ihn vorwiegend für gut ausgelastete Passagierflüge einzusetzen pflegte.
So kam es, dass Marcel sich in einem bemerkenswert ereignislosen Leben wiedergefunden hatte.
Bis er Morgans Welt begegnete.
Da die Kollision frontal verlaufen würde, wie eine Art kosmisches Zugunglück, wirkte sich die Gravitation des näher kommenden Riesen noch nicht auf Maleiva III aus. Auch war er bisher wenig mehr als ein heller Punkt am Himmel. »Viel wird sich da unten nicht tun«, prophezeite Beekman. »Bis zu den letzten vierzig Stunden oder so. Dann …« Er rieb sich erwartungsfroh die Hände. »… heißt es: in Deckung!«
Sie befanden sich auf der Nachtseite. Zarte Wolken trieben unter ihnen dahin, sanft beleuchet vom Sternenschein. Hier und dort konnten sie Ozeane oder schneebedeckte Landmassen erkennen.
Die Wendy Jay bewegte sich auf einer niedrigen Umlaufbahn Richtung Osten. Nach der Bordzeit war es früher Morgen, aber eine nicht unerhebliche Anzahl der Wissenschaftler war bereits auf den Beinen und drängelte sich um die Monitore. Sie aßen Snacks und tranken Unmengen an Kaffee, während sie am Bildschirm verfolgten, wie der Himmel langsam heller wurde, als sich das Schiff dem Terminator näherte.
Außer ihm selbst bestand Marcels Crew aus nur zwei weiteren Personen. Mira Amelia war seine Technikerin, Kellie Collier seine Copilotin. Kellie hatte die Brücke übernommen, als er zu Bett gegangen war, aber es war ihm schwer gefallen, Schlaf zu finden. Auf dem Schiff herrschte viel zu viel Aufregung, und er hatte bis ein Uhr nachts kaum ein Auge zugetan. Wenige Stunden später war er wieder erwacht
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