Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
Verfügung. »Das wird das Beste sein.«
Als das Gespräch beendet war, zog sich der Captain in sein Quartier zurück und betrachtete nachdenklich die Gala-Uniformjacke, die er traditionell beim Essen mit Passagieren zu tragen pflegte.
Vielleicht gab es doch noch eine Möglichkeit.
Er könnte den entsprechenden Eintrag ins Logbuch löschen und den Flug für nicht autorisiert erklären, dann läge die Verantwortlichkeit bei Wetheral.
Das war im Grunde nicht sein Stil, und der Gedanke bekam seinem Selbstbild ganz und gar nicht, aber Wetheral war tot. Ihm würde das Urteil eines Untersuchungsausschusses nicht mehr schaden, unabhängig vom Ausgang. Zudem hatte der einzige überlebende Mitverschwörer ihm sein Wort gegeben, sein Wissen nicht zu offenbaren. Und er dürfte motiviert sein, sein Wort zu halten, da auch er selbst zur Verantwortung gezogen werden könnte, sollte die Wahrheit ans Licht kommen. Niemand anderes konnte wirkungsvoll in Abrede stellen, dass Wetheral die Fähre aus eigenem Antrieb gekapert hatte. Sie mussten sich nur eine stimmige Geschichte ausdenken, um zu erklären, wie MacAllister und Hayes an Bord der Fähre gekommen waren. Und das war ein Kinderspiel.
Vielleicht, so dachte er, käme er doch noch unbeschadet aus dieser Sache heraus.
Wer MacAllister kannte, wäre nie auf den Gedanken verfallen, ihn als besonders skrupulös zu bezeichnen. Man musste nur seinen Ansichten in Fragen literarischer Grundsätze oder der Interpretation historischer Daten widersprechen, schon konnte es geschehen, dass der große Mann Urteilsvermögen und Stil seines Kontrahenten in Frage stellte und möglicherweise seine oder ihre angeborene Intelligenz in aller Öffentlichkeit der Lächerlichkeit preisgab. Besondere Freude bereitete ihm, jene zu neutralisieren, die unbedingt neutralisiert werden mussten, jene aufgeblasenen, überheblichen, arroganten Schwachköpfe, die ständig damit beschäftigt waren, anderen ihre Verhaltensrichtlinien, Moralvorstellungen und religiösen Ansichten aufzuzwingen. Und MacAllister blickte nie zurück.
Dennoch stand er jetzt eine ganze Weile am Rande des Abgrunds und starrte hinab auf die verunglückte Landefähre der Evening Star, dachte über den toten Piloten nach, der ihm nicht sonderlich gescheit vorgekommen war, und über Casey, die noch zu jung gewesen war, ihre Talente zu entwickeln, wie immer sie auch ausgesehen haben mochten. Dass die beiden nun tot waren, war nicht direkt auf irgendeine Fehlleistung seinerseits zurückzuführen. Dennoch war ihm vollkommen klar, dass sie noch am Leben wären, hätte er nicht jenem finsteren Impuls nachgegeben, der ihn veranlasst hatte, diesen gottvergessenen Ort aufzusuchen. Es wäre übertrieben anzunehmen, er würde auch nur für einen Augenblick daran denken, sich selbst in den Abgrund zu werfen, aber es war wahr, dass er sich zum ersten Mal in seinem erwachsenen Leben fragte, ob die Welt durch ihn tatsächlich eine bessere war als ohne ihn.
Die Landefähre war festgeklemmt. Unter ihr reichte der Abgrund noch ungefähr weitere hundert Meter in die Tiefe. Der Weg nach unten war lang. Schnee häufte sich am Grund, falls das tatsächlich der Grund war. Und irgendwo dort unten, außerhalb seiner Reichweite, hatte Wetheral seine letzte Ruhe gefunden.
Er starrte immer noch in den Abgrund, als ihm bewusst wurde, dass jemand mit ihm sprach.
Hutchins.
»Mr. MacAllister«, sagte sie. »Sind Sie okay?«
»Ja.« Er richtete sich ein wenig auf. »Mir geht es gut.«
Ihnen blieb keine Möglichkeit, die Leichen zu konservieren, und nach einer Reihe von Konferenzen zwischen Nicholson, Marcel und Hutch kamen sie schließlich überein, Toni und Casey an Ort und Stelle zu begraben.
Sie schaufelten etwa dreißig Meter vom Turm entfernt den Schnee weg und hoben zwei Gräber aus. Eine bewaffnete Truppe, bestehend aus Chiang, MacAllister und Kellie, wanderte zu dem kleinen Wald und fällte ein paar Bäume, um aus ihnen provisorische Särge herzustellen.
In der Zwischenzeit besorgten sich Hutch und Nightingale die persönlichen Daten der Verstorbenen von den Schiffen im Orbit, danach lösten sie drei Steinplatten aus den Turmwänden, die sie mit einer Gravur in Gedenktafeln umfunktionierten. Dann hüllten sie die Leichen in Plastikfolie, die ursprünglich zur Verpackung von Artefakten vorgesehen war. Bis dahin war es dunkel geworden, und ihre Kollegen waren aus dem Wald zurückgekehrt. Gemeinsam verstauten sie die Särge im Inneren des Turms,
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