Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
vergangenen Frühjahr begegnet sind. Seinerzeit hatten Sie erwähnt, Sie würden sich mit dem Gedanken tragen, eines Tages nach Cape Cod zu ziehen. Wie der Zufall will, habe ich gestern ein unglaubliches Angebot erhalten, bei dem ich sofort an Sie denken musste. Wir haben ein luxuriöses Strandhaus, das ganz neu am Markt ist. Ja, ich kann mir vorstellen, was Sie jetzt denken. Geben Sie mir trotzdem noch einen Moment …«
Sie wechselte zur nächsten Mitteilung.
»Hi Priscilla.«
Ihre Mutter. Strahlend, schön. Und wie immer mit einem untrüglichen Gespür für den passenden Zeitpunkt.
»Ich freue mich schon darauf, dich wieder zu sehen, wenn du zurück bist. Es wäre nett, wenn wir uns ein paar Tage Zeit nehmen könnten. Wir könnten in die Berge fahren. Nur wir zwei Mädchen. Sag mir Bescheid, ob du einverstanden bist, dann kann ich uns eine Hütte reservieren.
Ich weiß, du magst es nicht, wenn ich dir einen Mann vorstelle, aber dein Onkel Karl hat mir kürzlich einen großartigen jungen Architekten vorgestellt. Ich denke, er hat eine hervorragende Zukunft …«
Der nächste Versuch:
»Hi Hutch.«
Eine reine Audionachricht. Audio-Übermittlungen waren weniger kostspielig.
»Ich weiß, es ist lange her, seit wir uns zum letzten Mal unterhalten haben, aber ich habe erst erfahren, dass Sie auf der Wildside sind, als sie nach Deepsix abkommandiert wurde.« Das war Frank Carson, ein Archäologe, mit dem sie eine Menge durchgemacht hatte, obwohl ihr das augenblicklich vorkam, als wäre es in einem anderen Leben geschehen. »Klingt, als wären Sie wieder in Aktion getreten. Ich beneide Sie. Ich würde alles geben, wenn ich dabei sein könnte. Wir graben uns noch immer durch Beta Pac und fangen allmählich an, die hiesigen Sprachen zu übersetzen. Aber das wird Sie im Moment kaum interessieren. Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass ich an Sie denke. Sie sind eine glückliche Frau.«
Hutch rang sich ein Lächeln ab.
»Miss Hutchins.«
Erneut eine reine Audionachricht, dieses Mal vorgetragen in einem tiefen Bariton.
»Vielleicht erinnern Sie sich, dass wir einander bei der Tagung des Pilotenverbands im vergangenen Jahr begegnet sind. Mein Name ist Harvey Hutchins … richtig, Hutchins, wie Sie, was auch der Grund war, dass wir ins Gespräch gekommen sind. Wie auch immer, ich bin Programm-Manager bei Centauri Transport. Wir sind auf der Suche nach erfahrenen Piloten. Wir befördern Waren und Personal über den ganzen Flugraum. Ich kann Ihnen eine berufliche Herausforderung nebst einem großzügigen Bonus und einer ganzen Reihe weiterer Vorzüge garantieren. Die Stellenvergabe wird bald abgeschlossen werden, aber ich kann Ihnen einen Posten anbieten, falls Sie interessiert … «
Und eine junge Frau mit einem widerlichen Boston-Akzent:
»Hallo Miss Hutchins, ich bin Repräsentantin des Spendenkomitees der Northeastern University Alumni. Wir wollten Sie bitten, uns auch in diesem Jahr zu unterstützen …«
Und noch einige weitere Nachrichten, alle mehr oder weniger unpersönlich, alle von Leuten, die sie gerade gut genug kannten, um ihren Antispam-Filtern aus dem Weg zu gehen, die aber so oder so nie anständig zu arbeiten schienen.
Keine einzige Nachricht von einem der wenigen Männer in ihrem Leben. In Zeiten wie diesen fragte sie sich, ob ihre weiblichen Reize tatsächlich vollständig hatten versagen können. Andererseits verstand sie durchaus, dass niemand sonderlich erpicht auf eine Beziehung zu einer Frau war, die nie zu Hause war. Das war ein einsames Dasein. Und vielleicht war es keine schlechte Idee, den Job nach dieser Geschichte an den Nagel zu hängen. Nach Hause zu gehen und sich ein normales Leben aufzubauen.
Sie hörte, dass Chiang allmählich näher kam. Dann strömte Licht in den Tunnel.
Sie half ihm, Tonis Leichnam in den Turm hinaufzutragen. Die ungefähr zwanzig Minuten, während derer sie bemüht waren, die Tote durch enge Passagen zu manövrieren, sie nicht fallen zu lassen, sie sicher über die Zwergenstufen zu tragen, waren vermutlich die längsten zwanzig Minuten ihres ganzen Lebens. Der E-Suit war immer noch aktiv, sodass sich Tonis Körper auch jetzt noch warm und lebendig anfühlte. Hutchins konnte kaum den Blick von ihr lösen. Immer wieder stellte sie sich Tonis Augen hinter den geschlossenen Lidern vor, Augen, die sie anklagend anstarrten. Du hast mich hierher gebracht …
Als sie es endlich bis zum Eingang geschafft hatten, die Tote hinaustrugen und im Sonnenlicht zu
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