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Hybrid

Titel: Hybrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
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die Inselmitte. Die Elbinsel war gerade einmal sechzig Jahre alt. Entstanden war sie in den Vierzigerjahren des letztes Jahrhunderts, als während des Zweiten Weltkriegs am Südufer der Elbe eine Werft für Wasserflugzeuge gebaut wurde. Dabei war die Insel mit dem Aushub der Bauarbeiten aufgeschüttet worden. Die Natur hatte das Land schnell erobert, und inzwischen war die ehemalige Sandbank seit fünfzig Jahren Naturschutzgebiet.
    »Ich bin nicht sicher, ob es eine gute Idee war, nachts herzufahren«, sagte Juli. »Man sieht ja fast nichts.«
    Tom schwieg. Dass das Risiko, tagsüber erwischt zu werden, zu groß war, hatten sie ausführlich besprochen. Vielleicht hat sie ja Angst vor der Dunkelheit, überlegte er. Ein bisschen albern für eine erwachsene Frau. Aber möglicherweise konnte er sie beruhigen. Er stellte sich vor, wie sie immer stiller und immer nervöser wurde. Er würde dann etwas näher neben ihr laufen. Vielleicht wäre sie froh, einen kräftigen Mann in ihrer Nähe zu haben, vielleicht sogar Körperkontakt suchen. Es müsse ihr nicht peinlich sein, würde er ihr dann hinterher verständnisvoll sagen, wenn sie wieder auf vertrautem Gebiet waren. Sie würde ihn mit dankbaren Augen ansehen, lächeln, und dann …
    »Scheiße!«, schrie Tom auf, als plötzlich ein Knurren neben ihm aus der Dunkelheit der Bäume drang. Tom stolperte zwei Schritte beiseite, rechnete damit, dass ihn etwas Großes anspringen würde.
    Juli war ebenfalls stehen geblieben. Sie zog die Taschenlampe hervor, die sie eigentlich nur im Notfall hatten benutzen wollen, und leuchtete in das Unterholz. Dort stand ein Hund. Ein Mischling von der Größe eines Schäferhundes mit verfilztem Fell und eingefallenen Flanken. Er hatte die Ohren angelegt und bleckte die Zähne. Im Lichtkegel der Lampe wich er einen Schritt zurück.
    »O nein«, sagte Juli, »sieh dir den an. Der Arme ist ja halb verhungert!«
    »Das beruhigt mich kein bisschen«, rief Tom. »Der hätte sich fast auf mich gestürzt. Scheuch ihn weg, los!« Er bückte sich, offenbar auf der Suche nach Steinen, die er nach dem Tier werfen konnte.
    »Red keinen Unsinn«, sagte Juli. »Du hast ihn erschreckt. Guck doch, was er für eine Angst vor uns hat.«
    »Scheinbar nicht genug.« Tom hatte einen herumliegenden Ast gefunden und holte aus.
    »Nicht!«, rief Juli und wollte Toms Arm festhalten. Aber der Hund setzte sich schon in Bewegung und rannte durch den Wald davon. »Jetzt hast du ihn verjagt!«
    »Gut so. Wer weiß, was der für Krankheiten hat.«
    »Nun stell dich doch nicht so an! Der ist vielleicht schon ewig lange auf der Insel und kommt nicht mehr aufs Festland. Und hier findet er nichts zu fressen. Du hast doch gesehen, wie schlimm er aussah.« Sie trat zwischen die Bäume. »Vielleicht können wir ihm helfen. Wir müssen ihn suchen.« Mit eingeschalteter Lampe stapfte sie los.
    »He, warte mal«, rief Tom und eilte hinterher. Als Juli keine Anstalten machte, stehen zu bleiben oder sich umzudrehen, gab Tom klein bei. »Mach wenigstens die Lampe aus.«
    Erneut hüllte Dunkelheit sie ein. Tom folgte Juli durch das Unterholz. Dieser Teil der Insel war fast drei Kilometer lang und einen halben Kilometer breit. Da es eine Insel war, konnte man sich schwerlich verlaufen, aber sie war groß genug, um stundenlang nutzlos umherzuirren, wenn man nicht einmal wusste, was und wo man suchte.
    »Es würde mich wirklich interessieren, was dich an dieser Sache so sehr interessiert«, sagte Tom. »Es ist eine persönliche Sache, hast du gesagt. Aber es muss ja schon mächtig wichtig sein, wenn du so was hier unternimmst. Wir machen uns strafbar, und vermutlich haben wir auch schon am UKE diverse Gesetze gebrochen.«
    »Dasselbe gilt doch auch für dich.«
    »Ja, aber es ist mein Job. Ich verdiene mein Geld mit Storys, und die guten Storys liegen nun mal nicht auf der Straße.«
    »Das stimmt wohl«, antwortete Juli.
    »Und du?«, hakte Tom nach, als sie keine Anstalten machte, weiterzusprechen. »Was treibt dich an?«
    »Es lässt dir keine Ruhe, hm?«
    »Nein.«
    »Es hängt mit meiner Schwester zusammen. Ich weiß nicht, ob ich es vernünftig erklären kann. Es klingt vielleicht etwas weit hergeholt.«
    »Versuch es«, drängte Tom, der sich die Arme vor das Gesicht hielt, um zurückschnellende Zweige aufzuhalten, die Juli beim Vorangehen umbog.
    »Also gut«, seufzte sie. »Meine Schwester, Marie, ist Ärztin. Oder jedenfalls kurz davor. Im Augenblick arbeitet sie ehrenamtlich für

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