Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hybrid

Titel: Hybrid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Wilhelm
Vom Netzwerk:
Trotz des lauen Abends ließ die zwielichtige und heruntergekommene Umgebung sie schaudern. Noch am Tag zuvor hätte sie sich nicht vorstellen können, sich mitten in der Nacht mit einem Fremden im Nirgendwo zu treffen. Und ein Fremder war er schließlich, auch wenn sie wusste, wie er hieß, wo er wohnte und sie nichts Böses an ihm vermutete. Aber wie gut ließen sich Menschen wirklich einschätzen? Tatsache war, dass sie ihn längst nicht gut genug kannte, um ihm ihr Leben anzuvertrauen.
    Es ist nur eine Bootsfahrt , ermahnte sie sich. Doch das ungute Gefühl, sich in etwas hineinzustürzen, dessen vollen Umfang sie noch nicht abschätzen konnte, ließ sich nicht abschütteln. Ihr Tatendrang hatte sie zwar auch schon früher in verzwickte Situationen gebracht, nur war dies hier etwas anderes.
    Sie nahm sich vor, wachsam zu bleiben, wollte aber die Chance, der Antwort auf ihre Suche näher zu kommen, nicht ungenutzt lassen.
    Sie ging zu Tom hinüber, der hinter der Straßenbegrenzung am Ufer des Flusses wartete. Kurz darauf bemerkte sie eine weitere Person, die etwas abseits stand und alles beobachtete. Dann sah sie, dass auf dem Wasser direkt hinter Tom ein kleines Motorboot trieb. Es war aus Gummi und gerade groß genug für zwei Personen. Eine Leine führte zu den schwarzen Schlackebrocken, die als Uferbegrenzung dienten. Es gab hier keinen Pier, nicht einmal einen kleinen Steg. Aber es war beinahe höchste Flut, die abfallenden Ufer standen schon hoch unter Wasser, und so war es möglich, dass man an dieser Stelle mit einem Boot fast direkt bis an die Straße herankam. Von den Steinen aus war es mit etwas Geschick möglich, hineinzuklettern.
    »Kann sein, dass du nasse Füße bekommst«, grüßte Tom sie. »Aber es war die beste Möglichkeit auf die Schnelle.« Er schien ihren unruhigen Blick zur Seite zu bemerken. »Das ist Jeremy«, sagte er mit einem Nicken hinüber. »Ihm gehört das Boot. Er wird hier warten, bis wir es zurückbringen.«
    »Will er denn nicht mitkommen?«
    »Er möchte nicht mit drinstecken, falls wir erwischt werden.«
    Unschlüssig sah sie zu dem Boot. Tatsächlich war es sogar unmöglich, es zu betreten, ohne mindestens einen Schritt ins Wasser zu tun. Also setzte sie sich und zog ihre Schuhe aus.
    »Pass auf, dass du nicht ausrutschst«, sagte Tom.
    Als sie fertig war, balancierte sie über die Steine, stützte sich einmal an Toms ausgestrecktem Arm ab und war schließlich im Boot. Tom folgte ihr, stieß das Gefährt mit einem Paddel von den Steinen ab und warf dann den kleinen Außenborder an. Bedächtig nahmen sie Fahrt auf und bewegten sich auf den Fluss hinaus.
    Zehn Minuten später erreichten sie die Neßsand. Im Westen der Insel gab es einen Anlegesteg, den der Inselwart verwendete und der für größere Boote gedacht war. Um unentdeckt zu bleiben, mussten sie diesen Bereich natürlich meiden. Tom suchte daher weiter östlich am Strand einen Landeplatz, und kurz darauf betraten sie die Insel. Eine dünne Wolkendecke verdunkelte die Reste der Dämmerung. Über der Stadt und ihren Containerterminals, deren Lichtermeer man sehen konnte, lag ein orangefarbener Schein. Auf dem Wasser und auf der Insel war es bereits fast vollkommen dunkel. Dennoch war es ihnen möglich, Umrisse zu erkennen, nachdem sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
    »Hoffentlich sieht man es nicht«, sagte Juli, während Tom das Schlauchboot ein kurzes Stück aufs sandige Ufer zog. Vom Wasser aus würde es sich als dunkler Schatten gegen den helleren Streifen Strand abheben.
    »Wir müssen einfach darauf vertrauen, dass in der nächsten Stunde nicht die Polizei vorbeifährt und zufällig herüberguckt.«
    Sie ging einige Schritte, bis um sie herum Gräser und kleineres Buschwerk wuchsen. Tom dirigierte sie in Richtung der Inselmitte. »Wenn wir am Strand entlanggehen, kann man uns vielleicht entdecken«, erklärte er mit gedämpfter Stimme. »Ich weiß ja nicht, wie ernst die das mit den Kontrollfahrten nehmen. Daher gehen wir oberhalb, am Waldrand.«
    »Warum flüsterst du?«
    »Ich …« Tom zuckte mit den Schultern. »Nur so. Fühlt sich heimlicher an.«
    »Falls der Fuß tatsächlich von hier gekommen ist«, sagte Juli, »dann ist er ja vermutlich ins Wasser gespült worden, und dann sollten wir am Strand gucken.«
    »Wir behalten den Streifen im Auge und gehen nur nachsehen, wenn uns etwas verdächtig vorkommt.«
    Ein Wildwuchs von Sträuchern und zum Teil erstaunlich hohen Bäumen beherrschte

Weitere Kostenlose Bücher