Hymne der demokratischen Jugend (German Edition)
Zeichen und Zinken, die er auf dem Herweg zurückgelassen hatte, vor allem aber doch an den Gerüchen.
– Aufstehen, – hörte Iwan von oben, und als er die Augen öffnete, sah er eine Frau, die sich über ihn beugte, so daß ihm ihre Haare ins Gesicht fielen, – aufstehen, wie lange willst du denn noch pennen. – Iwan versuchte aufzustehen, zuerst schaffte er es nicht, dann aber hob er doch irgendwie den Kopf und schaute sich um. Zu sehen gab es allerdings nichts, er lag in einem Liegewagenabteil, neben ihm eine Frau in einem komischen, sehr offiziellen Kostüm, sie rauchte eine »Belomor« und blies ihm den Rauch einfach ins Gesicht, wovon ihm noch schlimmer übel wurde, obwohl, schlimmer ging es eigentlich gar nicht mehr. – Wo bin ich? – fragte er ohne Hoffnung auf eine befriedigende Antwort. – Mein Sohn, – sagte die Frau, – du bist in Mariupol, und ich bin heute deine Mutter. – Mutter, – wiederholte Iwan und verlor das Bewußtsein. Ein paar Stunden später kam er wieder zu sich, die Frau betrat das Abteil und legte auf dem Tischchen verschiedene Kompressen, Umschläge, Medizinfläschchen und andere Dinge ab, mit deren Hilfe sie denProbanden wieder zum Leben erwecken wollte. – Wer sind Sie? – fragte Iwan wieder. – Mein Sohn, – sagte die Frau, – ich bin dein Hang-over, und von nun an wirst du tun, was ich dir sage. – Was heißt – von nun an? – fragte Iwan blöde nach. – Von nun an, – sagte die Frau, – das ist, seit ich dich den Zigeunern am Hauptbahnhof Mariupol abgekauft und hierhergebracht habe, auf den Güterbahnhof, wo du und ich offensichtlich die nächsten Tage verbringen werden. – Tante Eva, – Iwan verstand endlich und ließ sich ins Kissen zurücksinken. – Na-na, – sagte Tante Eva, alles wird gut, – sie nahm eine Kompresse und beugte sich über Iwan, ihre Haare rochen nach Medizin und trockenem Gras, sie berührte seine lederne Pilotenkappe, in der er schlief, und Iwan zog sie plötzlich an sich, zuerst schlug sie mit der nassen Kompresse nach ihm, gab dann aber unerwartet nach und warf die Kompresse auf die Liege gegenüber, Iwan wußte nicht einmal, was er mit ihr machen sollte, berührte nur mit den Händen ihr Gesicht und verschmierte Lippenstift und Wimperntusche, da aber faßte sie ihn an den Schultern, riß sein Hemd auf, na, und dann wälzten sie sich auch schon in den warmen Liegewagenlaken, er öffnete ihre Ösen und Schnallen, sie zerfetzte sein Hemd, er berührte mit den Lippen ihre Ohrringe, sie biß ihm in die Venen und ins Schlüsselbein, er schälte alles von ihr ab, was man abschälen konnte, sie leckte mit ihrer Zunge seine Mundhöhle aus, er drehte sie um und betrachtete sie von oben – sie hatte gefärbte dunkle Haare und einen Haufen Schmuck um den Hals, verschiedene Amulette, Perlenschnüre, Ketten und Bänder, verschiedene Ikönchen und satanistische Zeichen, lange und sorgfältig prüfte er das alles mit seinen Fingern, schaute und roch, bis sie es nicht mehr aushielt, ihn abwarf und einfach nurdurchbumste, wie eine Frau das mit einem Mann unterwegs eben tut – also lange und leidenschaftlich.
– Was machen wir hier, Eva? – fragte er an diesem Augustabend, sie hatten sich in ihrem Abteil eingeschlossen, nur sie zwei im ganzen Waggon, sie lag auf ihm und brachte ihm bei, Belomor zu rauchen. – Wir warten auf Ware, – erklärte Eva. – Und wann kommt die? – Iwan hustete. – Weiß nicht, – antwortete Eva, – geh doch zum Stationsvorsteher, frag nach, vielleicht weiß der was. – Gut, – sagte Iwan, – in Ordnung, – nahm ihr die Papirossa aus der Hand, drückte sie vorsichtig aus und warf sich auf sie, um sie zu küssen.
Später trottete er lange zwischen den Güterwaggons umher, den Kessel- und Postwagen, überschritt die Gleise, zertrat das rote Bahnhofsgras bei dem Versuch, zum Gebäude zu gelangen, endlich sah er einen Schienenwärter, der ihm erklärte, wie er den Stationsvorsteher finden konnte. Der Stationsvorsteher war ein Workaholic, weshalb er auch auf dem Bahnhof übernachtete. Iwan fand sein Büro und klopfte. – Ich bin nicht angezogen, – schrie der Vorsteher. – Danke, – antwortete Iwan und trat ein. Der Vorsteher saß auf seinem Bett, in rosa Feinrippunterhosen und Offiziersmantel, den er statt eines Morgenrocks trug. – Wer bist du? – fragte er Iwan genervt. Iwan erklärte es umständlich. – Aha, – antwortete der Vorsteher, – alles klar, ich, – sagte er, – kenne deine Verwandten,
Weitere Kostenlose Bücher