Hypnose
sich gegen den böigen Wind, um sie anzustecken. »Auch eine?«
Inka schüttelte den Kopf. »Nein danke. Was soll ich dir erzählen? Annabel und Jannis haben sich geliebt, die beiden wollten ein Kind bekommen, auswandern und heiraten.«
»Wie jetzt?«
»Na ja, erst mal heiraten, dann auswandern und Kinder bekommen. In dieser Reihenfolge. Jedenfalls wollten sie miteinander alt werden. Annabel ist voller Herzensgüte und Lebensfreude, normalerweise. Nicht so, wie du sie heute kennen gelernt hast. Zum Scherz haben wir immer gesagt, dass sie für ein Stück Sahnetorte morden würde … aber doch nicht wirklich!«
Andi nahm einen tiefen Zug an seiner Zigarette. »Na ja, weißt du, theoretisch ist jeder Mensch fähig, einen Mord zu begehen. Es braucht bloß eine gedemütigte Seele, die auf Rache schwört. Ein gebrochenes Herz, eine verletzte Frau, die das Familienidyll aufrechterhält, ihr Weinen mit Lachen übertönt – und dann doch ausrastet und zum Messer greift.«
»Die beiden haben sich vor Mitternacht gut gelaunt von uns verabschiedet – was kann denn um Himmels willen in dieser kurzen Zeit passiert sein?«
»Na ja, kurz ist relativ«, sagte Andi. »Von Mitternacht an waren das ja noch zwei bis vier Stunden bis zu seinem Tod.«
Inka lief es kalt den Rücken hinunter. »Andi, wie sicher ist die Tatzeit? Das müsste ja dann zwischen zwei und vier Uhr gewesen sein?«
»Laut Obduktionsprotokoll ziemlich sicher, warum?«
Peters Handy hatte in der Tatnacht um 1:12 Uhr geklingelt, daran konnte sie sich noch genau erinnern. Wenn man der Einschätzung des Rechtsmediziners folgte, müsste Jannis also noch gelebt haben, als Peter alarmiert wurde.
»Das geht doch noch genauer, oder? Man hört das zumindest immer im Fernsehen«, hakte Inka nach.
»Solche Aussagen sind Quatsch und nur fürs Drehbuch. Man erhält lediglich eine Schätzung der Tatzeit von plus/minus zwei Stunden, so wie in diesem Fall – wenn man die Körpertemperatur, die Totenflecken und das Fortschreiten der Fäulniserscheinungen zum Anhaltspunkt nimmt und alle Faktoren miteinander vergleicht.«
Im Stillen hoffte Inka auf ein Wunder, sie betete, der Rechtsmediziner möge einen Fehler gemacht haben.
»Jannis fühlte sich noch recht warm an, als wir eintrafen«, fügte Andi hinzu. »Seine Körpertemperatur lag bei knapp 35 Grad, aber die Totenstarre tritt erst nach drei Stunden langsam ein. Bei normaler Umgebungstemperatur ist eine Leiche nach acht Stunden erkaltet. Und wenn man Zimmer- und Körpertemperatur und das Gewicht des Toten mit einem Korrekturfaktor zueinander in Bezug setzt, ergibt sich aus dem Henßge-Nomogramm, dass Jannis bei unserer Alarmierung seit vier bis sechs Stunden tot war.«
»Andi, wann seid ihr alarmiert worden?« Eine letzte Hoffnung hatte sie noch.
»Das musst du doch mitbekommen haben. Peter war nach Eintreffen der Polizei als Erster am Tatort, und das war kurz vor acht Uhr morgens. Tatzeit vier bis sechs Stunden zuvor, also zwischen zwei und vier Uhr.«
Wie war das möglich? Inka war wie vom Donner gerührt. Wer hatte Peter um ein Uhr nachts angerufen und in die Olgastraße bestellt? Und was war in den sieben Stunden dazwischen passiert?
Sie schwiegen einen Moment, und Inka schaute zurück zum Gefängnis. Es wollte ihr einfach nicht in den Kopf, dass Annabel eine Mörderin sein sollte. Und noch weniger, warum sie glaubte, Jannis würde noch leben und eine Geliebte haben. Wo ist er? , hatte sie gefragt. Und: Ist er bei ihr ?
»Andi, besteht unter irgendwelchen bizarren Umständen die Möglichkeit, dass Annabel recht hat und Jannis gar nicht tot ist?«
»Ich glaube, du verrennst dich da«, sagte Andi. »Es handelt sich um Jannis, das bestätigen seine DNA und der vorläufige Obduktionsbericht.«
»Auch vermeintliche Fakten lassen sich manipulieren. Bitte versteh mich. Ich kenne Annabel seit Kindertagen. Es gibt kein Motiv, weshalb sie Jannis hätte umbringen sollen. Man attestiert ihr psychische Gesundheit, und sie denkt trotzdem, dass Jannis noch lebt. Andi, da ist doch was faul!«
»Aber sie hat ein Geständnis abgelegt.«
»Geständnisse kann man erzwingen!«
»Aber Spurensicherung, Kripo und Rechtsmedizin können nicht alle getäuscht werden. Er ist tot, Inka.«
»Andi, ich würde seinen Leichnam gerne mit eigenen Augen sehen. Ich möchte wissen, ob er es wirklich ist. Denkst du, das ist möglich?«
Andi hob die Schultern und schnaufte. »Keine Ahnung, schwer zu sagen. Was versprichst du dir
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