Hypnose
Verletzung nicht tödlich. Hingegen fiel dem Rechtsmediziner bei der Obduktion eine Einstichstelle von einer Spritze auf.«
Inkas Mund war trocken. Sie wollte nach ihrem Glas greifen, aber ihr Gehirn war viel zu beschäftigt, diese neuen Informationen aufzunehmen, dass sie mitten in der Bewegung verharrte. »Von einer Spritze? Wie kann man das überhaupt erkennen?«
»Das dürfen Sie mich nicht fragen. Aber Sie finden das heraus, da bin ich mir sicher.«
»Und was da gespritzt wurde, behielten die Ermittler bei den Interna, nehme ich an?«
»So ist es. Tatsache ist jedenfalls, dass Ihre Freundin Annabel ausschließlich zugegeben hat, mit der Weinflasche auf den Kopf ihres Verlobten eingeschlagen zu haben – auch wenn wir den Grund nicht kennen, denn dazu schweigt sie nach wie vor.«
»Die Kripo vermutet also einen zweiten Täter, der letztlich Jannis’ Tod herbeigeführt hatte«, sagte Inka erleichtert und ärgerte sich insgeheim, dass ihr Peter heute Morgen nichts davon erzählt hatte. »Das bedeutet auch, dass die Sache für Annabel ganz anders aussähe! Warum hat die Kripo ihren Verdacht an die Öffentlichkeit gebracht?«
»Man hofft, den unbekannten Täter nervös zu machen. Den psychischen Stress hält nicht jeder aus, und entweder begeht er bei einer neuerlichen Überprüfung einen Fehler, oder er stellt sich freiwillig der Polizei. Das ist natürlich ein Wunschgedanke, aber es hat schon alles gegeben. Für die Kripo ist es ein äußerst verzwickter Fall, weil die Schwester der Tatverdächtigen … wie heißt sie noch gleich?«
»Evelyn Brinkhus.«
»Genau. Weil Frau Brinkhus, wenn wir den Indizien nach davon ausgehen, dass der zweite Täter aus dem un mittelbaren Umfeld stammt, als Ärztin zwangsläufig ins Visier der Ermittler gerät. Als direkte Verwandte kann sie allerdings von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, was sie wohl auch getan hat. Gleiches gilt für ihren Ehemann, diesen Hypnotiseur. Der dürfte seiner Frau sogar ein falsches Alibi geben. Zugunsten eines nahen Angehörigen würde das nicht unter Strafvereitelung fallen.«
Evelyn … Doktor Brinkhus … Zeugnisverweigerungsrecht … falsches Alibi … Gut, aber wo war eigentlich das Motiv? Ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Was um sie herum an den Tischen geschah, nahm sie gar nicht mehr wahr. Ihr Fokus lag auf ihrem Chef, ohne dass sie ihn scharf erkennen konnte, denn vor ihrem inneren Auge sah sie die Wohnung in der Olgastraße und versuchte sich vorzustellen, was dort in der Mordnacht geschehen war.
»Jedenfalls«, sagte Inka, »wenn es tatsächlich einen zweiten Täter gab, dann könnte Annabel nicht mehr lebenslänglich, sondern lediglich wegen schwerer Körper verletzung und höchstenfalls wegen Beihilfe zu einem Kapitalverbrechen verurteilt werden!«
»Falls er ermittelt wird. Ihre Freundin muss etwas wissen oder zumindest mitbekommen haben, wer in die Wohnung kam. Vielleicht wird sie auch dazu gezwungen, jemanden zu decken. Ihre Schwester Evelyn beispielsweise, oder diesen Hypnotiseur. Haben Sie sich mal näher mit dem Thema Hypnose befasst, Frau Mayer? Das wäre übrigens ein eigener Beitrag wert. Ganz grausam, was da mit den Leuten passiert. Haben Sie die Tage mal die interna tionalen Meldungen gelesen? Da mussten in Indien dreißig Leute nach einer Massenhypnose ins Krankenhaus gebracht werden, weil sie nicht mehr aus der Trance aufwachten! Und hinterher wissen diese armen Menschen von nichts mehr. Recherchieren Sie unbedingt mal in diese Richtung, und schauen Sie sich diesen Doktor Brinkhus näher an. Hoch spannend und emotional, der ganze Fall mit Ihrer Freundin. Wenn wir hier exklusiv Antworten liefern könnten, und zwar noch vor der Konkurrenz, dann gehört der Markt uns. Und das ist Ihr Job, Frau Mayer, den Ihnen die Stuttgart aktuell sehr gut bezahlen wird.«
»Mir geht es nicht ums Geld«, sagte Inka reflexartig. »Mir ist die Wahrheit wichtig, und ich glaube an die Unschuld meiner Freundin.«
Lindemann schob seine runde Brille nach oben. »Und ich glaube an Sie, Frau Mayer, und besonders an Ihren Ehrgeiz. Sie sind sehr gut, das haben Sie schon oft bewiesen, und das sollten Sie auch der Öffentlichkeit wieder zeigen. Es wird höchste Zeit, dass die Leute mal wieder was von Ihnen zu lesen bekommen.«
Nicht nur das, dachte Inka. Wenn sie ganz ehrlich war, ging es doch auch ums Geld, denn mit der Übernahme dieses Auftrags könnte sie dazu beitragen, die offensichtlich prekäre häusliche
Weitere Kostenlose Bücher