I love you, honey
miserabel. Schließlich ist es Zeit, voneinander Abschied zu nehmen. Kamal übergibt mir ein kleines Päckchen mit den Worten: ,, For you, honey.“ Ich öffne die Schachtel und sehe ein hübsches Schmuckkästchen aus Holz mit eingelegten Intarsien. Erfreut danke ich ihm. Jetzt ist es soweit, denke ich, die Stunde des Abschieds ist gekommen. Ich bin mir aber sicher, dass es keiner für immer sein wird. Als ich durch das Gate gehe, spüre ich Kamals Blick im Rücken, aber ich drehe mich nicht mehr um. Ich habe nicht die Kraft dazu. Traurig trete ich den Rückflug an. Während der nächsten Stunden muss ich ununterbrochen an Kamal denken. Wann werde ich ihn wiedersehen?
Als ich gegen Abend in Deutschland ankomme, ist der Himmel grau und wolkenverhangen. Eilig verlasse ich den Flugplatz, denn ich möchte schnell nach Hause, um meine Gedanken zu ordnen. Heftige Sturmböen peitschen mir feinen Nieselregen ins Gesicht. Ich laufe ein paar Meter zum Taxistand und komme dort schon völlig durchnässt an. In meiner leichten Sommerkleidung beginne ich zu frieren und knöpfe meine blaue Strickjacke zu. Das nasskalte Schmuddelwetter passt aber gut zu meiner miesen Stimmung. Ich suche mir ein Taxi und der alte Taxifahrer lädt mürrisch meine Tasche in den Kofferraum. Ich setze mich auf den Rücksitz und gebe meine Adresse an. Mir fällt auf, dass der Fahrer nicht den kürzesten Weg zu meiner Wohnung nimmt. Als ich ihn darauf hinweise, wird er ausfallend und meint, ich solle ihm gefälligst die Wahl der Route überlassen. Ich habe keine Lust, mich mit ihm auseinander zu setzen und verhalte mich still. Tief im Innern ist mir alles gleichgültig.
Wieder in Deutschland
Als das Taxi endlich nach einigen Umwegen vor meiner Haustür hält, zahle ich widerwillig den überhöhten Fahrpreis, gebe dem Fahrer aber dafür kein Trinkgeld. Er wirft mir einen unfreundlichen Blick zu und startet wortlos den Motor. Rasch nehme ich meine Tasche und steige aus. Auch in dieser Gegend peitscht der Sturm durch die Straßen und rüttelt an den Bäumen. Überall liegen abgebrochene Äste auf dem Boden.
Als ich die Wohnungstür öffne , schlägt mir muffige Luft entgegen. Ich lasse meine Tasche im Flur fallen und mache die Fenster weit auf, um zu lüften. Meine Wohnung liegt im dritten Stock eines sanierten Altbaus in einer gutbürgerlichen Gegend und besteht aus einem Zimmer, Küche, Bad und einem kleinen Balkon. Die Wände sind mit Raufaser tapeziert und weiß gestrichen. Meine Einrichtung ist spärlich, ich lege darauf nicht so viel Wert. Im Wohnzimmer steht ein schwarzes Schlafsofa mit einem länglichen Glastisch davor und einem grauen Cordsessel. Ein hohes, braunes Bücherregal befindet sich an der Wand gegenüber. Neben der Balkontür habe ich mir eine Computerecke eingerichtet. Mehrere Grünpflanzen und Kakteen zieren das Fensterbord. Der Fußboden besteht aus abgezogenen Holzdielen. Nachdem ich mich geduscht habe, gehe ich in die kleine Küche und suche in meinem Vorratsschrank nach etwas Essbaren. Zum Glück finde ich noch eine Dose mit Ravioli. Nachdem ich mir das Essen warm gemacht habe, setze ich mich auf das Sofa im Wohnzimmer und komme jetzt nach meiner Ankunft zum ersten Mal zur Ruhe. Ich lasse die letzten Wochen Revue passieren und auf einmal überfällt mich eine grenzenlose Einsamkeit. Kamal fehlt mir so sehr! Was er wohl gerade macht? Ob er auch an mich denkt oder war es für ihn mit mir nur ein Techtelmechtel, nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn? Plötzlich höre ich entfernt mein Handy summen. Wo ist es nur? Ich laufe durch die ganze Wohnung und entdecke es auf dem Küchentisch und lese die SMS: i am thinking of you. I love you,honey. Kamal. Ein warmes Glücksgefühl durchströmt mich, Kamal hat mich nicht vergessen. Aufgeregt tippe ich die Antwort ein: i am yours forever. with love. Jetzt kann ich beruhigt schlafen gehen. Alles ist gut.
Als ich aufwache, wird mir sofort bewusst: Ich möchte hier nicht bleiben, ich möchte wieder nach Marokko und zu Kamal. Niedergeschlagen stehe ich auf und rufe sofort meine Mutter an, vielleicht gelingt es ihr, mich etwas aufmuntern. Ich erzähle ihr von meiner Reise und dass ich mir nicht mehr vorstellen kann, hier weiter zu leben, denn ich vermisse Kamal und die Mentalität der Marokkaner. Meine Mutter versucht mich zu beruhigen: ,, Vielleicht wird es besser, wenn du wieder für längere Zeit hier bist.“ ,, Ich möchte aber nicht lange hierbleiben“, erwidere ich störrisch
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