Iacobus
voraus, dann begann das Erdreich nachzugeben, und das Getöse wurde immer lauter, bis der Boden zu beben begann. Die Steinplatten der Tumba fielen in sich zusammen und stürzten in die Tiefe, wobei sie eine Staubwolke auslösten, die bis zum Gewölbe des Kirchenschiffs emporstieg und sich dort mit den giftigen, gelben Dämpfen mischte. Der Krach war ohrenbetäubend. Es schien, als ob die Kirche jeden Augenblick über unseren Köpfen zusammenstürzen könnte.
»Lauf, Jonas, lauf!« schrie ich aus vollem Hals und gab ihm einen Stoß, der ihn zum Portal schleuderte.
Allerdings wußte ich nicht, was schlimmer war, denn draußen erwartete uns mit gezücktem Schwert Graf Joffroi de Le Mans mit all seinen Männern.
»Sprecht!«
»Ich habe es Euch doch schon hundertmal erklärt!« wiederholte ich und ließ den Kopf hängen. »Ich mußte unbedingt sehen, was es dort unten gab, bevor Ihr wieder alles an Euch reißt. Was wollt Ihr denn noch wissen?«
Le Mans' Männer arbeiteten hastig unten in der Krypta. Sie hatten schon alle Schätze gehoben und unter demselben Kapitell angehäuft, das mir von ihrer Existenz gekündet hatte. Nun mühten sie sich ab, die Verwüstungen zu beseitigen, die der Einsturz angerichtet hatte. Wie wir zu spät bemerkt hatten, bildete die Platte des Sarkophags in Wirklichkeit den Teil, der den gesamten Aufbau der geheimen Kammer stützte, und indem wir sie wegschoben, lösten wir den Erdrutsch aus, so wie es zuvor jemand methodisch geplant hatte. Welches Detail hatte ich übersehen? Wo hatte der Fehler gelegen?
»Wenn ich Euch nicht augenblicklich umbringe, dann nur, weil Ihr begonnen habt, Eure Mission zu erfüllen«, tobte Le Mans, »doch der Papst wird davon genauestens unterrichtet werden, und Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß Ihr nicht straflos davonkommt.«
»Ich habe Euch doch schon gesagt, Graf, daß es wichtig war.«
»Meine Männer werden den Schaden beheben, so daß alle Spuren des Unglücks verwischt sind, bevor der neue Tag anbricht. Aber wenn die Templer Verdacht schöpfen, werdet weder Ihr noch Euer Sohn, noch diese Jüdin, die Euch begleitet, einen weiteren Sonnenaufgang erleben.«
»Und der Pater? Was gedenkt Ihr mit ihm zu tun?«
»Vergeßt den Mönch. Es gibt ihn schon nicht mehr. Noch in dieser Nacht wird jemand an seine Stelle treten.«
Warum bekümmerte mich sein Schicksal? Ohne damit auch nur das geringste zu tun zu haben, sah sich der arme Mann in für ihn viel zu große Machenschaften verwickelt und war deshalb gnadenlos aus dem Weg geräumt worden.
»Holt Eure Sachen und brecht sofort auf«, fuhr Le Mans fort. »Und denkt daran, daß beim nächsten Mal Eure Arbeit auf ewig beendet sein wird, wenn Ihr wieder ohne mich die Initiative ergreift.«
»Ich wünsche mir nichts anderes«, erwiderte ich, wohlwissend, daß wir unter dem Ende, worauf wir beide uns bezogen, nicht dasselbe verstanden.
Mitten in der Nacht sammelten wir unsere Siebensachen zusammen und machten uns durch einen Eichen- und Pinienwald auf den Weg nach Burgos. Der Mond leuchtete uns, und die Wölfe heulten. Wir hatten keine andere Richtung als die, die uns das Schicksal wies, und dorthin lenkten wir unsere Schritte. Die Mendozas, Bruder und Schwester, erwarteten uns.
G egen Mittag, als die Sonne am höchsten stand, erreichten wir das wahrhaft prachtvolle Burgos, Hauptstadt des Königreichs Kastilien. Schon aus der Ferne merkten wir, daß wir uns der bedeutendsten und größten aller Pilgerstationen des Jakobswegs näherten, herrschte doch auf den Straßen ein lebhaftes Treiben von Karren, Menschen und Tieren. Der in beide Richtungen ziehende Pilgerstrom um uns herum riß nicht ab. Um uns zur kleinen Brücke durchzudrängen, die neben der Johannes dem Evangelisten geweihten Kirche über den Festungsgraben zum Stadttor führte, mußten wir sogar die Ellbogen gebrauchen. Auch wenn wegen der Handelszeiten die Kontrolle gering war, verlangten die Wachen dennoch unsere Geleitschreiben zu sehen, und erst nachdem sie sie aufmerksam geprüft hatten, gaben sie uns den Weg frei. Die lange, gepflasterte Straße, welche die Stadt von einem Ende zum anderen durchquerte und Teil des Jakobswegs war, säumten lärmerfüllte Schenken und Herbergen, unzählige Läden, in denen allerlei Waren verkauft wurden, und kleine Werkstätten christlicher, jüdischer und maurischer Handwerker. Es stank durchdringend nach Urin und Kot, und dieser ekelerregende und ungesunde Geruch hing wie eine dicke Wolke über der Stadt.
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