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Iacobus

Iacobus

Titel: Iacobus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matilde Asensi
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Gewölbe mußte sie sich wohl träge entrollen. Als sie in Reichweite war, packte ich sie entschieden und zog kräftig daran, nachdem sie zum Stillstand gekommen war. Dann vernahmen wir irgendwo hinter der Steinmauer vor uns ein anderes seltsames Geräusch, das wie ineinandergreifende Zahnräder klang. Eingeschüchtert trat Sara einen Schritt zurück und drückte sich an meine Seite.
    »Wie ist das möglich? Wie können Wörter diesen Mechanismus in Gang setzen?« fragte sie überrascht.
    »Ich kann Euch nur sagen, daß es gewisse Orte auf dieser Welt gibt, an denen riesige Steinquader oder große Felsen zu finden sind, die einst in längst vergangenen Zeiten vom Menschen dorthin geschleppt und auf Sockeln ins Gleichgewicht gebracht worden waren, die sie eigentlich nicht stützen konnten. Bei bestimmten Geräuschen oder Wörtern beginnen sie zu vibrieren. Niemand weiß, wie dies möglich ist oder warum sie dort sind, doch sie liegen nun mal dort. In Eurer Heimat nennt man sie rouleurs und hier schwankende Steine. Ich habe von zwei Orten erzählen hören, wo sie zu finden sein sollen, in Rennes-les-Bains im Languedoc und in Galicien, in Cabio.«
    Die Felswand glitt langsam nach unten. Nur das Schnarren des Mechanismus war zu hören, der sie in Bewegung gesetzt hatte. Schließlich war der Durchgang frei. Auf der anderen Seite erblickten wir einen Raum, der genau gleich aussah, mit dem einzigen Unterschied, daß von dort aus eine Treppe nach oben führte.
    »Jonas, erinnerst du dich noch an die zweite Szene auf dem Kapitell von Eunate?« fragte ich unvermittelt, während ich mir die Säule in Navarra ins Gedächtnis zurückrief.
    »Jene, in der der blinde Bettler Bartholomäus nach Jesus rief?«
    »Genau. Fällt dir auch wieder die Botschaft auf der Konsole ein, die Bartholomäus' Worte wiedergab?«
    »Hmmm … Filii David miserere mei .«
    » Filii David miserere mei  … ›Sohn Davids, erbarme dich meiner‹! Merkst du was?«
    »Was soll ich merken?« fragte er überrascht.
    » Filii David, Filii David …«, rief ich aus. »Bartholomäus schrie ›Sohn Davids‹, womit die königliche Abkunft des Messias bekräftigt wird. Und der Bibelvers aus dem Matthäus-Evangelium beginnt mit › Liber generationis Iesu Christi, filii David … Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids‹. Siehst du das nicht? Noch weiß ich nicht, wie ich es mit dem Mechanismus, der diese Felswand in Gang setzt, in Verbindung bringen soll, doch ich bin mir sicher, daß besagte Beziehung besteht.«
    Wir setzten unseren Marsch durch unendlich lange Tunnel fort. Unsere Sandalen waren mit rötlicher Erde überzogen, und unsere Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, so daß wir sogar etwas sehen konnten. Jetzt mußten wir uns auch nicht mehr bücken, um die Anzahl der Kerben an den Stolleneinmündungen zu zählen; ein kurzer Blick im Vorbeigehen genügte, um sie deutlich wahrzunehmen.
    Allerdings begann ich mich ernsthaft zu fragen, warum wir nirgendwo auf Patrouillen der Templer stießen. Ich hatte den Kerker in der Überzeugung verlassen, daß wir uns früher oder später vor den Brüdern verstecken oder uns ihnen stellen mußten, und die Tatsache, daß wir schon seit über einer Stunde keiner einzigen Menschenseele begegnet waren, machte mich allmählich nervös. Weder Schritte, noch Schatten, noch menschliche Geräusche …
    »Was ist das, was man dort vorn hört?« fragte Sara plötzlich.
    »Ich höre nichts«, meinte ich.
    »Ich auch nicht.«
    »Also ich vernehme ein Murmeln wie von einem summenden Fliegenschwarm.«
    Jonas und ich lauschten angestrengt. Vergebens. Das einzige, was wir wahrnahmen, war das leichte Knistern der Fackel und der Hall unserer Schritte. Sara hakte indessen nach einer Weile wieder nach:
    »Hört Ihr denn wirklich nichts?«
    »Nein, wirklich nicht.«
    »Aber es wird doch immer lauter, als ob wir auf etwas zulaufen würden, das ein Brummen von sich gibt.«
    »Jetzt höre ich es auch!« verkündete Jonas erfreut.
    »Na Gott sei Dank!«
    »Es ist Gesang!« erklärte der Junge. »Eine Litanei, eine Art Singsang. Hört Ihr es nicht, Sire?«
    »Nein«, knurrte ich.
    Wir gingen weiter, und als wir an einem mit drei Kerben gekennzeichneten Stollen vorbeikamen, vernahm ich das Geräusch endlich auch. Es war tatsächlich ein reiner, einstimmiger Gesang, ein von einem wunderbaren Chor männlicher Stimmen intoniertes ›De profundis ‹. Das war also der Grund, warum wir seit Verlassen des

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