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Iacobus

Iacobus

Titel: Iacobus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matilde Asensi
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»Seht her!«
    Der Junge und ich beugten uns über die helle Stelle am Boden, die Sara mit ihren Sandalen freigekratzt hatte. Ein kleines, fein ausgearbeitetes Bild von kaum der Größe einer Hand zeigte einen Hahn mit hochgerecktem Hals und zum Krähen geöffnetem Schnabel. Und sofort fiel mir wieder ein, wo ich kurz zuvor die gleiche Abbildung gesehen hatte.
    »Was kann das bedeuten?« fragte mich Jonas mit hochgezogenen Augenbrauen.
    »Die Symbolik des Hahns ist vielgestaltig«, erklärte ich, während ich meine Pilgertasche abstellte und den Beutel mit den Heilmitteln herausholte, den ich vorbereitet hatte, falls wir auf unserer Reise Medikamente benötigen sollten. »Wegen seiner Beziehung zur Morgendämmerung«, fuhr ich fort, »symbolisiert er den Sieg des Lichts über die Dunkelheit. Bei den alten Griechen und Römern und auch heute noch bei einigen Völkern des Orients steht der Hahn für Kampfesgeist und Mut. Für die Christen jedoch ist er das Symbol der Wachsamkeit, der Auferstehung und der Rückkehr Christi.«
    Während ich sprach, zog ich aus dem Beutel haufenweise Säckchen mit Heilkräutern heraus, und als alle auf dem Boden lagen, löste ich die Schnüre, mit denen sie zusammengebunden waren, und leerte deren Inhalt einfach aus. Sara und Jonas starrten mich verblüfft an.
    »Darf man erfahren, was Ihr da gerade treibt, Micer?« gelang es der Zauberin schließlich zu fragen.
    »Jonas, kannst du dich noch daran erinnern, daß wir in der Krypta von San Juan de Ortega eine lederne Schriftrolle mit dem Siegel der Tempelherren fanden?«
    »Ja, sicher. Ihr habt sie auf unserer Flucht nach oben an Euch genommen.«
    »Nun, am Tag, als ich allein im Hospital del Rey von Burgos auf Nachricht von dir wartete, fiel mir ein, daß ich sie mir noch nicht genauer angesehen hatte, weshalb ich also das Siegel brach. Es war ein Stück Leder von einer halben Elle Länge und ebensolcher Breite, auf dem hermetische Zeichen und kurze lateinische Texte in westgotischer Schrift zu sehen waren. Überschrieben war das Ganze mit einem Bibelvers aus dem Matthäus-Evangelium: Nihil enim est opertum quod non revelabitur, aut occultum quod non scietur . ›Es ist nichts verborgen, was nicht offenbarwird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird.‹ Damals erschien mir das natürlich unverständlich, allerdings hegte ich keine Bedenken, daß es sich um etwas Wichtiges handelte, das ich aufbewahren mußte, und da ich Joffroi de Le Mans nicht über den Weg traute, dachte ich darüber nach, wie ich die Schriftrolle sicher und ohne Verdacht zu erregen vor ihm verbergen könnte. Deshalb schnitt ich das Leder in etwa gleich große Stücke wie die, in denen ich meine Kräuter aufbewahrte, und ersetzte so die alten Säckchen durch neue.«
    »Und?« drängte mich Sara, als ich innehielt, um Atem zu schöpfen.
    »Und? Ist das etwa nicht offensichtlich? Seht genau her, Zauberin, und sagt mir, ob der Hahn am Boden nicht identisch ist mit dem hier auf diesem Stück gegerbten Schafsleders.«
    Ich streckte ihr eines der Lederstücke hin, das sie ergriff und im Schein der Fackel eingehend betrachtete.
    »Es ist dasselbe Zeichen!« rief sie aus und zeigte es dann Jonas, der sich leicht über ihre Schulter neigte, da er sie bereits um einen ganzen Kopf überragte.
    »Hier ist noch etwas«, sagte der Junge und nahm Sara das Leder aus der Hand. »Seht Ihr das nicht? Das Leder ist bedruckt. Zwar ist es schon ziemlich verblaßt, aber unbestritten steht es mit dem Symbol des Hahns in Zusammenhang.«
    Nun war ich derjenige, der ihm das Leder entriß. Der Junge hatte recht, dort war noch etwas anderes zu entdecken: Man konnte einen hochgewachsenen Baum erkennen, der aus einer ruhenden Figur emporstrebte und mit einem runden Christusmonogramm gekrönt war. Es lag auf der Hand, daß es sich um eine vereinfachte Darstellung der Wurzel Jesse mit dem unten im Bild schlafenden Propheten Jesaja und darüber Jesus Christus handelte.
    » Et egredietur virga de radice Iesse : ›Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais‹«, deklamierte Jonas, der offenbar zum selben Schluß wie ich gekommen war.
    »Wie ich sehe, hast du deine Lehrjahre als puer oblatus nicht vergessen«, bemerkte ich erfreut.
    Er errötete bis über beide Ohren, und auf seinen Lippen zeichnete sich ein zufriedenes Lächeln ab, das er vergeblich zu verbergen suchte.
    »Da ich ein gutes Gedächtnis habe, wählte man mich im Kloster immer aus, bei den Messen zu ministrieren, und ich

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