Iacobus
in jener ersten Nacht etwas gehört, gesehen oder erraten hatte, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken: Er regte sich nicht, und seine Augen blieben geschlossen. Als er sich wenig später allerdings von seiner Krankheit erholt hatte, wollte er fortan allein im unteren Stockwerk schlafen.
Ich wußte, daß meine Liebe zu Sara nie enden würde, jedoch wollte ich nicht darüber nachdenken, was aus uns werden würde, wenn das wirkliche Leben wieder gewaltsam in unser kleines Paradies eindringen würde. Körper und Geist wiesen die Vorstellung von sich, daß jede Sekunde, die ich an ihrer Seite verbrachte, eine geraubte Sekunde war, für die wir beide später teuer bezahlen müßten. Die jugendliche Liebe zu Jonas' Mutter war wie ein von Reinheit erfüllter Traum gewesen, wie ein lauer Abend neben einem stillen Brunnen; die Liebe, welche ich hingegen für Sara empfand, hatte nichts mehr mit alldem zu tun, denn glühende Leidenschaft ließ jenen Fluß des Wahnsinns über die Ufer treten. Ich wußte, daß es unmöglich war, daß ich, ein Hospitaliter, mich mit jener wundervollen Jüdin vereinigte, die meinem Leben den Schwung und das Glück zurückgegeben hatte, ich wollte aber nicht daran denken, ich wollte keinen einzigen Tropfen jenes Zaubertranks der Euphorie verschwenden.
Das Schicksal jedoch, dieses geheimnisvolle und hohe Schicksal, von dem die Kabbala spricht, das die Fäden der Ereignisse verknüpft, ohne auf uns zu zählen – auch wenn wir uns sacht auf dem Weg ins Unerbittliche befinden –, entschied einmal mehr, daß ich mich unvermittelt der Wirklichkeit zu stellen harte, um so schneller zur Wahrheit zu gelangen. Genau zwei Monate nach dem Beginn unserer Pilgerreise, am neunten Tag des Monats Oktober, stellte sich in der Mühle plötzlich das Unglück ein.
Sara und ich hatten uns in dieser Nacht lange geliebt, und danach waren wir, wie verknotete Schnüre ineinanderverschlungen, in den Armen des anderen in tiefen Schlaf gesunken. Ihr Kopf ruhte auf meiner Brust, während meine Arme sie mit einer beschützenden Geste umfingen. Meine Nase lag auf ihrem silbernen Haar; das Kitzeln machte mir nichts aus, wenn ich nur die ganze Nacht über ihren Duft einatmen durfte. Sara pflegte ihr Haar sorgfältig. Ständig wusch und kämmte sie es, denn sie behauptete, daß sie es nicht ertrage, wenn es schmutzig und fettig am Kopf klebe. Offen gestanden wollte sie wohl den silbernen Glanz ihrer außergewöhnlichen Haarmähne bewahren, ein Erbe aus der Familie ihrer Mutter, in der alle, Männer wie Frauen, von frühester Jugend an wunderschönes volles, weißes Haar hatten.
Polternde Schritte und jähe Schläge auf der Holztreppe, die zum zweiten Stockwerk führte, rissen mich aus meinem nicht lange währenden Schlaf, doch ich war noch immer ganz schlaftrunken, als die Füße neben meinem Lager innehielten.
»Ich bin Bruder Valerio de Villares, Komtur von León«, vernahm ich eine kraftvolle, sonore Stimme, »und dies ist mein Statthalter, Bruder Ferrando de Çohinos. Steht auf, Bruder De Born.«
Erschrocken riß ich die Augen auf und sprang vollkommen nackt vom Strohsack hoch. Die vielen Jahre militärische Disziplin ließen mich nicht zum Nachdenken kommen.
»Zieht Euch an, Bruder«, befahl mir der Komtur. »Aus Respekt vor der Dame erwarten wir Euch unten.«
Saras ängstliche Augen suchten die meinen, die, auch wenn während einiger Augenblicke ein Schuldgefühl in ihnen aufblitzte, sofort meinen unerschütterlichen Willen widerspiegelten.
»Sorg dich nicht, Geliebte«, sagte ich lächelnd zu ihr und bückte mich über sie, um sie zu küssen, »du hast absolut nichts zu befürchten.«
»Sie werden uns auseinanderreißen«, stammelte sie.
Ich ergriff ihre Hände und sah ihr tief in die Augen.
»Nichts auf dieser Welt wird mich von dir trennen können, mein Leben. Hörst du? Vergiß das nie, Sara, denn es ist wichtig! Was auch immer geschehen mag, vertraue auf diesen Schwur, den ich dir hier leiste: Wir werden uns nie trennen. Wirst du mir das glauben?«
Die Augen der Jüdin füllten sich mit Tränen.
»Ja.«
In diesem Augenblick erschien Jonas' Kopf in der Treppenöffnung.
»Wer sind diese Mönche, Vater?« fragte er mit zittriger Stimme.
»Das sind große Würdenträger meines Ordens«, erklärte ich ihm, während ich mich anzog. »Hör zu, Jonas, ich möchte, daß du hier oben bei Sara bleibst, während ich mit ihnen spreche. Und ich möchte nicht, daß irgendeiner von Euch sich auch nur die
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