Iacobus
ich sterbe …! Ein sarazenischer Krummsäbel hat meine Arme amputiert … er reißt mir meine Eingeweide heraus!«
»Sara, bereite etwas Wasser für das Opium vor.«
»Holt die Bücher aus ihren Verstecken! Laßt nichts im Tempel zurück! Stellt die Truhen zusammen, und versammelt Euch alle bei Sonnenuntergang vor den Toren von Al-Aqsa!«
»Das ist der Todeskampf«, meinte die Jüdin und reichte mir eine Schüssel mit Wasser. Ihre Hände zitterten.
»Das ist das Delirium der Pest. Wie kommt es, daß Ihr Euch nicht angesteckt habt?«
Ihre Stimme klang schneidend, als sie antwortete:
»Das hier ist nicht die schwarze Pest, Sire, es ist lediglich die Beulenpest. Haltet Ihr mich für so ahnungslos, daß Ihr mir eine derartige Falle stellt? Sogar eine Jüdin wie ich weiß, daß die Beulen nicht berührt werden dürfen und man sich danach gründlich waschen muß, um sich nicht anzustecken.«
»Der Baphomet! Versteckt den Baphometen!« schrie Evrard so angespannt wie die Sehne eines Bogens. »Man darf nichts mehr finden, gar nichts! … Die Bundeslade! Die Bücher! … Das Gold!«
»Die Bundeslade!« rief ich beeindruckt aus. »Dann stimmt es also, daß sie im Besitz des Tempelschatzes sind!«
»O Bruder vom Hospital des Heiligen Johannes, Ihr werdet doch nicht gleichfalls diesen Unsinn glauben?« hielt Sara mir vor und betonte dabei voll Sarkasmus meine aufgedeckte Identität. Offensichtlich hatte sie meiner Unterhaltung mit Evrard aufmerksam gelauscht.
Kurz darauf waren Evrards Schreie verstummt. Seine Atmung ging nun wieder gleichmäßig. Ab und zu stieß er einen Seufzer aus wie ein Kind, oder er gab ein Wehklagen von sich; der Trank tat seine Wirkung und erlöste ihn allmählich von seinem Leiden. Und leider auch vom Leben.
»Er wird diese Nacht nicht überstehen; vielleicht schafft er es noch bis zum Morgen, länger wohl nicht.«
»Ich weiß«, entgegnete sie und ließ sich am Rand des mit schmutzigem Stroh bedeckten Steins nieder, der Evrard als Lager diente.
Bis zum Morgengrauen wachten wir schweigend an seinem Krankenlager. Meine Mission war zu Ende. Sobald der alte Templer gestorben wäre, würde ich nach Avignon aufbrechen, dort Seine Heiligkeit darüber in Kenntnis setzen, daß ich nicht die nötigen Beweise gefunden hatte, um seinen Verdacht zu bestätigen, und danach nach Rhodos zurückkehren, um meine Arbeit im Spital wiederaufzunehmen. Was Jonas betraf, so würde ich ihm die Rückkehr nach Ponç de Riba ermöglichen, so wie er es wünschte, und es dem Schicksal überlassen, sich des Geheimnisses seines Lebens anzunehmen. Wenn seine Mutter sich für alle Zeit der Verantwortung für ihn entzogen hatte, warum konnte ich, sein Vater, dann nicht dasselbe tun? Was für eine Bedeutung hatte letzten Endes ein Bastard mehr oder weniger im Leben? Auf jeden Fall würde es mir aber weh tun, mich von meinem Sohn zu trennen. Vermutlich machte mich die so lange empfundene, völlige Gefühllosigkeit in meinem Inneren so hilflos bei der Vorstellung, ihn zu verlieren.
Als das erste Licht des neuen Tages sich durch eine kleine Fensterluke oben an der Decke stahl, verließen die Zauberin und ich den tief schlafenden Sterbenden. Sollte er überleben, so erwartete ihn ein Tag der einsamen Agonie.
Bei meiner Rückkehr in die Herberge war Jonas schon wach und erwartete mich ungeduldig.
»Ich möchte wissen, warum Ihr mich nicht mitgenommen habt.«
»Das hatte mehrere Gründe«, erklärte ich ihm und gähnte. Erschöpft ließ ich mich aufs Bett fallen. »Aber wenn du es unbedingt wissen willst, so war der wichtigste deine Sicherheit. Falls man uns gefaßt hätte, hättest du nicht mehr Zukunft gehabt als der arme Alte, der dort im Kerker verfault. Ist das dein Begehr?«
»Nein. Aber auch Ihr liefet Gefahr.«
»Sicher«, murmelte ich schläfrig. »Aber ich habe mein Leben schon gelebt, mein Junge, wohingegen du noch viele Jahre vor dir hast.«
»Ich habe beschlossen, bei Euch zu bleiben.«
»Das freut mich … sehr sogar.« Und ich schlief ein.
Als Sara und ich in der folgenden Nacht in die Festung zurückkehrten, lebte Evrard noch zu unserer Überraschung. Das Opium hatte ihm geholfen, den Tag zu überstehen, auch wenn es ihn nicht mehr zu vollem Bewußtsein kommen ließ. Bei Anbruch der Morgendämmerung tat der alte Templer jedoch nach einigen Krämpfen seinen letzten Seufzer, und sein grauhaariger Kopf fiel mit geöffnetem Mund zur Seite. Um der Vergangenheit willen war ich froh, ihm geholfen zu haben,
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