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Iacobus

Iacobus

Titel: Iacobus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matilde Asensi
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in Frieden zu scheiden, obwohl dies verhindert hatte, daß sich gewisse Einzelheiten klärten, die nun für alle Zeiten verborgen blieben. Ich muß zugeben, daß mich dieser Gedanke irgendwie schmerzte. Sara strich ihm sanft mit der Hand übers Gesicht, um den traurigen Ritus zu erfüllen, ihm die Augen zu schließen. Danach beugte sie sich über ihn und gab ihm einen Kuß auf die Stirn, richtete ihm die Kleider, zog das schmutzige Stroh unter ihm hervor, und mit gefalteten Händen rief sie ihren Gott Adonai an und verrichtete einige Gebete für Evrards Seele. Auch ich betete; es tat mir leid, daß der arme Mann ohne die Sakramente der Beichte und der letzten Ölung gestorben war, obwohl ich im Grunde nicht sicher war, ob er es sich wirklich gewünscht hätte, weil die Tempelherren eigentlich ausschließlich von ihren eigenen fratres capellani damit versehen werden durften, um die Unverletzbarkeit ihrer Geheimnisse zu wahren.
    Wir beendeten unsere Gebete, und während Sara ihre Siebensachen zusammenpackte, begann ich jegliches Zeichen unseres Besuchs zu tilgen; früher oder später würde man merken, daß der Gefangene tot war, und dann die Zelle betreten, um den Leichnam zu holen und ihn zu verbrennen. Wie ich so meinen Gedanken nachhing, fiel mir plötzlich etwas auf: Warum erblickte man nirgends etwas von Evrards Habe? So sehr ich mich auch umsah, entdeckte ich doch nichts, was den langen Aufenthalt eines Menschen in jener Zelle verriet, außer natürlich dem Leichnam des Templers. Es mußte etwas geben, sagte ich mir, irgend etwas, was eigentlich immer im Verlies eines Verurteilten zu finden war: irgendein Manuskript, Gebrauchsgegenstände, Pergamente, persönliche Dinge … Gefangene horteten stets kleine, unbedeutende Schätze, die für sie von unermeßlichem Wert waren, Evrard hingegen schien seltsamerweise überhaupt nie dort gewesen zu sein, und das ergab keinen Sinn.
    »Wie lange war Evrard hier in dieser Zelle eingesperrt?« fragte ich die Zauberin gespannt.
    »Zwei Jahre.«
    »Zwei Jahre … und es gab nichts, was ihm gehörte, rein gar nichts?«
    »Doch, natürlich besaß er etwas«, erwiderte Sara und wies mit dem Kopf in eine Ecke, »seinen Löffel und seine Suppenschale.«
    »Und mehr nicht?«
    Die Zauberin, die bereits ihren Beutel geschultert hatte, starrte mich an. Ihre Pupillen durchzuckte ein Zweifel, der dann der Gewißheit wich. Ich spürte plötzlich, daß noch nicht alles verloren war.
    »Vor einer Woche, als er merkte, daß er sterben würde«, murmelte sie, »gab er mir einige Pergamente, die er unter seinem Hemd verwahrte. Er bat mich, sie zu vernichten, was ich allerdings nicht tat. Ich glaube, daß Eure mildtätigen Dienste es wohl verdienen, daß ich sie Euch zeige.«
    Meine Ungeduld kannte keine Grenzen. Ich bat sie inständig, möglichst schnell zu ihrem Haus zurückzukehren, um jene Dokumente in Augenschein nehmen zu können, und ich trieb sie mit solcher Eile durch die Stollen, daß wir beide hinterher völlig erschöpft waren. Die Hähne krähten schon auf den Dächern, als wir durch den Brunnenschacht nach oben ins Freie stiegen.
    »Ich weiß nicht, ob ich wohl daran tue«, meinte sie, während wir aus dem verlassenen Haus traten. »Wenn Evrard mich ersuchte, seine Dokumente zu verbrennen, müßte ich eigentlich seinen Wunsch erfüllen. Vielleicht enthalten sie Dinge, die Ihr nicht wissen solltet.«
    »Ich schwöre Euch, verehrte Sara«, entgegnete ich ihr, »daß ich, was auch immer ich finden sollte, nur das verwenden werde, was wirklich zur Erfüllung meiner Aufgabe dient; das Übrige werde ich bis in alle Ewigkeit vergessen.«
    Sie schien nicht sonderlich überzeugt zu sein, doch in ihrem Haus zog sie dann unter ihrem Strohsack einige vergilbte und schmutzige Bogen hervor, die sie mir mit schuldbewußter Geste überreichte. Hastig griff ich danach und stürzte an den Tisch, wo ich sie – ganz vorsichtig, um nichts zu zerreißen – auseinander rollte. In diesem Augenblick wurde mir ein wenig schwindlig, ein beklemmendes Gefühl machte sich im Magen breit, und ich mußte mich auf einen der Schemel setzen, um meine Arbeit fortsetzen zu können; kein Unwohlsein, das durch einige schlaflose Nächte hervorgerufen worden war, sollte mich jetzt aufhalten.
    Auf dem ersten Bogen war die grobe Zeichnung eines Imago Mundi zu sehen, das eilig und reichlich unpräzise angefertigt worden war. In einem Quadrat, welches das Weltmeer darstellen sollte, war ein Kreis zu sehen, der von

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