Ian Yery & der Hardcore Absolute Beginner
spulte auch er seit einigen Jahren beim Wichsen die Fantasie von einem ganz bestimmten Mann ab. Zwar waren es immer wieder andere Szenen, aber der Typ blieb interessanterweise stets derselbe, aber Mo maß dem nicht allzu viel Bedeutung bei.
Es war nur so … er hatte vor Ewigkeiten in der Menschenmasse eines Festivals einen Mann ausfindig gemacht, der ihn lange nicht losgelassen hatte. Und das, obwohl es keinen Kontakt mit ihm gegeben hatte, es sei denn, man zählte die unsanfte Kollision im Verlauf des späteren Abends hinzu, als er über einen Betrunkenen gestolpert war, der auf dem Boden gelegen hatte. Damals war Mo ziemlich fasziniert von diesem Kerl gewesen, ohne genau benennen zu können weshalb. Er hatte ungewöhnlich zerbrechlich gewirkt, irgendwie wie nicht von dieser Welt, und kam auf liebenswerte Art unsicher und schusselig rüber. Und obwohl er nicht der Typ zu sein schien, der offensiv auf andere zuging, hatte er dagesessen und Mo immer wieder so offen angestrahlt, ihn damit ganz verrückt gemacht. Er hatte ein phänomenal süßes Lächeln und Mo musste auch jetzt wieder grinsen, wenn er daran zurückdachte. Es war ziemlich offensichtlich gewesen, dass der Typ mit ihm geflirtet hatte, dann aber offensichtlich das Interesse verlor. Es war also gar nichts gelaufen, sie hatten sich noch nicht mal kennengelernt, und trotzdem servierte ihm seine Fantasie seitdem in regelmäßigen Abständen diesen Mann.
Irgendwann würde sich schon das Bild eines anderen Kerls in seine Vorstellung drängen. Mo war wohl selbst bei seinen Sexfantasien eine treue Seele, denn die Kerle in seinem Kopf wechselten nur widerwillig. Bisher allerdings waren es fast immer Schauspieler oder Musiker gewesen, kein No-Names, die er irgendwann in einer Menschenmasse gesehen hatte. Wenn Mo genauer darüber nachdachte: Würde ihm jemand eine Pistole auf die Brust setzen und ihn dazu zwingen, seinen Traummann zu beschreiben – er hätte wohl auf Anhieb auf diesen Kerl zurückgegriffen.
Bei diesen Überlegungen schoss Mo ein beunruhigender Gedanke durch den Kopf. Vielleicht erging es diesem Künstler ganz ähnlich wie ihm. Möglicherweise hatte er ihn tatsächlich irgendwo gesehen und sich durch ihn inspirieren lassen. Der Typ beherrschte gutes Deutsch, vielleicht war er kein gebürtiger Amerikaner sondern … Was, wenn er gar nicht in Amerika lebte sondern hier – vielleicht sogar ganz in der Nähe! Mo starrte zum Fenster. Oh, Gott! Was, wenn dieser Künstler ein irrer Stalker war? Die meisten Künstler waren doch irgendwie verrückt, oder? Er hatte Mo so detailliert modelliert, als hätte er Modell gesessen. Und wo war er schon nackt, außer in dieser Wohnung? Da er weder Stefan noch Judith annähernd Talent unterstellte, blieb nur …
Gänsehaut kroch über Mos Rücken. Was, wenn er beobachtet wurde? Gerade
jetzt
? Mo sprang hoch, zeigte der Nacht – nur zur Sicherheit – den Mittelfinger und zog die Vorhänge zu.
Geleitet von Angst und Wut gleichermaßen, hämmerte er eine Antwort auf diese E-Mail in die Tastatur.
Verteidigung
… das Ding …
Nils rülpste herzhaft, dann versuchte er mit dem Mund ein weiteres Mal die Öffnung der Bierdose einzufangen. Normalerweise ließ er die Finger von Alkohol, aber jetzt brauchte er ihn. Mit einer so stark zitternden Hand war es nicht einfach, den Akt des Trinkens zu koordinieren. Zudem schäumte das warme Gesöff extrem, weswegen er immer nur kleine Schlucke machen konnte und dann gewaltig rülpsen musste. Immerhin lebte Nils allein und niemand konnte sich daran stören.
Neben dem Bier lag auch noch ein Stein in seinem Magen, oder eine Faust, oder eine Faust um einen Stein. Nils hatte zwar erwartet, dass der Betrüger mit keiner freundlichen Antwort aufwarten würde – aber
das
hatte er
nicht
kommen sehen! Nils wurde aufs Übelste beschimpft, ein Perverser genannt, ein Stalker und völlig krank im Kopf. Er – Nils – solle es nicht wagen, sich von ihm erwischen zu lassen und wenn er sein krankes Spiel nicht
sofort
unterließe, würde er ihm die Polizei auf den Hals hetzen.
Nils begriff nicht, womit er
diese
Antwort provoziert hatte. Was war das für eine primitive Art, auf ein E-Mail zu reagieren? Zugegeben, er hatte sich selbst auch ein bisschen gehen lassen, als er diesem Betrüger geschrieben hatte. Nach dem Absenden war die Reue gekommen, und der Selbsthass. Nils hatte die so unüberlegt abgeschickte E-Mail, die obendrein von peinlichen Flüchtigkeitsfehlern nur so gestrotzt
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